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2. Inwiefern istdieseerzählteGeschichtealsempirisch,normativundnarrativ
triftig einzuschätzen?
3. Inwiefernwar/ist dieseNarrationAusdruck eines gesellschaftlichenOrien-
tierungsbedürfnisses? Inwiefern folgt(e)dieErzählungpolitischenoder äs-
thetischenFunktionengesellschaftlicherOrientierungsbedürfnisse?Handelt
es sich um einen (von einer einseitigen Sicht bestimmten und von Odo
Marquard als »gefährlich« qualifizierten) Monomythos oder um einen
(vieldeutigen)Polymythos?73Unddamitzusammenhängend:Wieentstehen,
mutierenundsterbenpolitischeMythen?
4. Welche Medien erwiesen sich früher/erweisen sich heute als »Mythen-
schmiede«? (Hier sind vor allem dieMassenmedien in den Blick zu neh-
men.)74WelcheRolle spielt(e)konkretdasSchulgeschichtsbuch?
Beiinter-undtranskulturellemMythenvergleich:WelcheGemeinsamkeitenund
Unterschiede lassen sich ausmachen?Wie lassen sie sich deuten? Die obigen
Überlegungen machen deutlich, welche Rolle dem Mythos im historischen
Lernenzukommenkann. InsofernGeschichtsmythenzahlreicheMöglichkeiten
bieten, die Funktion vonGeschichte in der Gesellschaft zumGegenstand des
Unterrichts zumachen, beinhalten sie –weitmehr als lediglich »wahre« und
»erfundeneGeschichten« voneinander zu unterscheiden –Lernpotenziale, die
zur Förderung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins nutzbar gemacht
werdenkönnen.FolgendeEinsicht ließesichimUnterrichtderSekundarstufeII
durchdieDe-KonstruktionvonMythen anbahnen:Dass historischeNarratio-
nenheutesovorliegen,wiewirsiekennenundwiesieauchinSchulbüchernals
ManifestationenvonGeschichtskulturabgedrucktsind,istnichtdeshalbso,weil
HistorikerInnen aus historischen Quellen eine »objektive« Geschichte rekon-
struierten. Vielmehr spielen ästhetische und politische Funktionen bei der
Durchsetzung von Geschichte in der Geschichtskultur eine Rolle, weil Ge-
schichte (nicht zuletzt in Schulgeschichtsbüchern, die einem von der Politik
vorgegebenenCurriculumfolgen)ebenimmerderOrientierungvonIndividuen
imZeitverlaufdientundimDienstderGegenwartundZukunft steht.Assmann
postuliert, dassMythen »ihre Form, Bedeutung und Strahlkraft […] aus den
Sinnbedürfnissen der Gegenwart« gewinnen.75 So kann die Frage nach natio-
naler Identitätsstiftung beziehungsweise Abgrenzung zu anderen Gemein-
schaftendurchMythen, nach glorifizierender Selbstdarstellungundpejorativ-
72 Cassirer,Philosophie, 59.
73 Marquard,Polytheismus, 226.
74 Marshall McLuhan, Das Medium ist die Massage. Ein Inventar medialer Effekte (1967),
Stuttgart:Tropen, 3.Auflage2011.
75 JanAssmann, »Mythos undGeschichte«, in: Helmut Altrichter u.a. (Hg.):Mythen in der
Geschichte, 13–28.
Was ist einhistorischerMythos? 27
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher