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– Hier wäre die Frage »Warum sollen wir das überhaupt lernen?« mehr als
berechtigt.
Ähnlich verhält es sich imWerkDas waren Zeiten, das den nach Salamis
ausgerichteten und alsDank für den Sieg errichtetenNike-Tempel zentral auf
demCoverbild zeigt. Dass den Perserkriegen (»Griechen gegen Perser«) auch
hiernochzweiSchulbuchseitengewidmetwerden,kommtnichtunerwartet,da
derC.C.BuchnerVerlagalshumanistisch-konservativgilt.DasThemaüberdas
imKernlehrplan geforderte Inhaltsfeld 3 – »WasMenschen imAltertumvon-
einander wussten«, Unterpunkt »Interkulturelle Kontakte und Einflüsse (z.B.
Herodot oder Feldzug und Reich Alexanders)« – rechtfertigend, lauten die
Überschriften des Darstellungstextes »ZweiWelten treffen aufeinander« und
»UnwissenheitschafftVorurteile«. IndiesemSinneheißtesdortsichhinterden
Quellen versteckend über die Griechen: »Die große Macht der Großkönige
deuteten sie als Gewaltherrschaft, der sich die Untertanen mit verachtungs-
würdiger ›Unterwürfigkeit‹ beugten.«47 Unter dem vielversprechenden Titel
»WofürdieGriechenkämpfen« folgt aufderMaterialseite eineQuellenpassage
aus Herodot, in der zwei spartanische (!) Boten in Susamit dempersischen
Heerführer Hydarnes sprechen, der ihnen die Vorzüge persischer Oberherr-
schaftanpreistundsiezurAufgabezuüberredensucht.Dochsieerwidernstolz:
»DukennstnurdieKnechtschaft,dieFreiheitaberhastdunichtgeschmecktund
weißt nicht,wie süß sie ist.Dennwenndusie kenntest, würdest duuns raten,
nichtnurmitdemSpeer,sondernauchmitderAxtfürsiezukämpfen.«48Dabei
wirdvöllig außerAcht gelassen, dass sowohlHydarnes als auchdie Spartaner
ihrenKönigendienen, sodassderUnterschiedalsonicht sogroß ist, alswenn
dies Athener gesagt hätten, die ohne einen König ihre politischen Geschicke
bestimmten. Dessen ungeachtet lautet die dazugehörige Aufgabe: »Herodot
beschreibtinM1denGegensatzzwischenPersernundGriechen.Nenneihn.«Es
fällt auf,dasshiernur reproduziert,nichtaberkritischhinterfragtwerdensoll,
obdieAuffassungder Spartaner beziehungsweiseHerodots nicht auch als an-
maßend und selbstgerecht betrachtet werden könnte – was interkulturelles
Lernenerst ermöglichenwürde.
Obwohl politisch nicht mehr erwünscht, lebt derMythos von der Rettung
Europas beiMarathonund Salamis also unter bisweilen schiefer Legitimation
überdenKernlehrplandurchaus fort.
47 DieterBrücknerundHaraldFocke (Hg.),DaswarenZeiten, Bd.1,Bamberg:C.C.Buchner,
2008, 69.
48 Ebd., 70.
DieeuropäischenRettungsmythenMarathon/SalamisundTours/Poitiers 45
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher