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Regierungen auch kein Bedarf mehr an den alten Nationalmythen wie dem
Hermannsmythos.Die politischenFührungszirkel der jungenBundesrepublik
verorteten sich in einem »christlichen Abendland«, das als Brückenideologie
eine Hinwendung zur westlichenWelt ermöglichte ohne traditionelles Elite-
denkengänzlichaufgebenzumüssen.86 InderRezeptionsforschungwirddaher
hinsichtlich des Hermannsmythos für die Zeit nach 1945häufig ein »Konti-
nuitätsbruch« als Ausgangspunkt angenommen.87 Demgegenüber hat Volker
Losemann auf bestehendeKontinuitäten sowohl in der populärenGeschichts-
kulturalsauchinderWissenschafthingewiesen.88DerBlickaufdieSchulbücher
stützt Losemanns Thesen,89 denn die Varusschlacht blieb als Ereignis der rö-
mischen Geschichte Teil des Schulunterrichts und der Umbruch in der Ge-
schichtspolitikderBundesrepublikwird indenSchulbüchern inBezugaufden
Hermannsmythosweitweniger sichtbar als es einKontinuitätsbruch erfordert
hätte.Wenn auch nationalistisches Pathos wie die direkte Identifizierung der
Germanenmit den Deutschen nunweitgehend vermiedenwird und die Vor-
stellungderGermanen als direkteVorfahrenderDeutschen selten ausgespro-
chenwird,90kanneinwirklicherParadigmenwechselzunächstnichtkonstatiert
werden.Keinesderhier untersuchtenBücherder 1950er Jahredistanziert sich
ausdrücklichvomMythos,wieesHallerundBühlerinihrenDarstellungengetan
hatten, da ihnen sehr wohl bewusst war, dass diemeisten Leser aufgrund der
Tradition sowieder vermeintlichenEvidenzderKontinuität vonWohnortund
seit 1945«, in:Ders. undHartmutKaelble (Hg.),Nationalismus –Nationalitäten – Supra-
nationalität, Stuttgart:Klett-Cotta,1993, 12–33,hier 15.
86 Axel Schildt, »Das ›christliche Abendland‹ als Zentrum politischer Integration in der
FrühzeitderÄraAdenauer«,in:TilmanMayer(Hg.),MedienmachtundÖffentlichkeitinder
ÄraAdenauer, Bonn:Bouvier, 2009, 39–54.
87 Wolters, Schlacht imTeutoburgerWald, 198f.;Dörner,PolitischerMythos, 362; S8n8cheau,
AlsArminius frechgeworden, 64.
88 Losemann,Denkmäler, völkische Bewegung, 258; den Beispielen von Losemann ist noch
HansErichStierhinzuzufügen,der seit 1936Professor fürAlteGeschichte inMünsterwar
und auch nach 1945 noch nationalistische Positionen vertrat, siehe: Hans Erich Stier,
Deutsche Geschichte imRahmen derWeltgeschichte, Berlin u.a.: Deutsche Buch-Gemein-
schaft, 1958; Hans Erich Stier, Kleine Schriften, hg. von Peter Funke und Gustav Adolf
Lehmann,MeisenheimamGlan:VerlagAntonHain, 1979.
89 Vgl. auchRiemenschneider,Lemythenational, 146.
90 Vgl. BenediktNett,Aus deutscherVergangenheit. Schülerarbeitsbuch, Donauwörth: Verlag
Ludwig Auer, 1952, 18, imDarstellungstext wird konsequent vonGermanen gesprochen,
aberbeidenArbeitsaufträgenheißtes:»ArminderCherusker(Hermann)istdererstegroße
Deutsche, dessen Name heute noch bekannt ist.« Vgl. auch noch: Wolfgang Hug, Ge-
schichtlicheWeltkunde 1 , Frankfurt amMain: Diesterweg, 3.Auflage, 1975 (Erstauflage
1974), 84. Die von Riemenschneider, Le mythe national, 138, zitierte Kapitelüberschrift
»Römer inDeutschland« sollte nichtüberbewertetwerden, daDeutschlandhier auch rein
geographischgemeint seinkann,wie esbei vielenneuerenPublikationenmitdiesemTitel
der Fall ist, vgl. Andreas Thiel,Die Römer inDeutschland, Darmstadt:Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, 2008.
DerHermannsmythos indeutschenSchulbüchernvon1800bis2000 77
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher