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überBehaim(imvorliegendenFall jenes indenSchulbüchern) imhistorischen
Prozess zustande kam, und innerhalbwelcherDiskurse diesesWissen für be-
stimmteKollektivepolitischSinnbildete.
Innerhalb der politischen Dimension der Geschichtskultur, ist nach Jörn
Rüsen die Rolle, die das historische Denken in denMachtkämpfen spielt, in
denendieMenschenimVerhältniszueinanderundzusichselbst lebenmüssen,
zentral.EsgehtumdieLegitimitätvonMacht-undHerrschaftsverhältnissen, in
denen dieMenschen lebenmüssen und inwelchen demhistorischenDenken
einewesentlicheRolle zukommt.40So stellt sich indiesemZusammenhangdie
Frage, innerhalb welcher Diskurse die Erzählung über Behaim auftaucht und
damit zusammenhängend für welche Kollektive der Behaimmythos Orientie-
rungsbedürfnissebefriedigteunddamit jenesoftmaligeErzählenbewirkte,das
demMythos die »Macht« verlieh, sich inderGeschichtskultur durchzusetzen.
DieVorstellung,Behaimhabe etwasmitKolumbus zu tun, geht aufdenPo-
lyhistor JohannChristophWagenseil zurück.DerProfessor anderUniversität
AltdorfveröffentlichteimJahr1682eineRede,welchedieRezeptionBehaimsim
deutschsprachigen Raum für Jahrhunderte beeinflussen sollte und begründet
einen spezifischen Behaimdiskurs. InWagenseils Totenrede für einen Nach-
fahrendesMartinBehaimweist er darauf hin, dass dieTatenMartinBehaims
»obwohlbislangunbeachtet, zurEhrenichtnur seinerGeburtsstadtgereichen,
sondern zum Ruhme des gesamten Deutschlands.«41 Wagenseil positioniert
Behaim im Zusammenhang mit Kolumbus auf folgende eigensinnigeWeise:
»Martinus [Behaim] fanddabei vorChristophColumbus die InselnAmerikas
und vor FernanMagellan die Meerenge, die dessen Namen trägt.« LautWa-
genseil sei Behaim der eigentliche »Entdecker« Amerikas. In diesem Zusam-
menhang erkennt derRedner eineUngerechtigkeit: »Aber dieNamendesCo-
lumbusundMagellanhateinungeheurerRuhmdurchalleZonenderWeltmit
vollen Backen verbreitet, unseren Landsmann hingegen nicht, obwohl er den
GottheitendesMeeres zumindest gleichgestelltwerdenmüsste.«42
Dies ist der BeginndesMythos, nach demBehaim in irgendeinemZusam-
menhangmitderEntdeckungAmerikassteht.DieBehauptungWagenseilsging
inderFolge inmehrereLexikaderZeit ein43undderZusammenhangzwischen
Kolumbus und Behaim bildet seitdem ein unwiderrufliches Element der Er-
zählung. InnerhalbdiesesDiskurses gingesdarum, einen»deutschenHelden«
40 Ebd., 238.
41 JohannChristianWagenseil,SacraparentaliaD.GeorgiiFredericiiBehaimideSchwarzbach
Altdorf 1682, 8.Übersetzung inRichardHenning, »MartinBehaim’s angeblicheVorentde-
ckung Amerikas und derMagellanstraße um (1487)«, in: RichardHenning, Terrae Inco-
gnitae Iv, Leiden1956, 391–418, 394zitiert nachBräunlein,MartinBehaim, 10.
42 Ebd.
43 Bräunlein,MartinBehaim, 62.
HistorischDenken lernenmitdemMythosMartinBehaim 99
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher