Page - 109 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
Image of the Page - 109 -
Text of the Page - 109 -
der Dummheit desMittelalters befreit hätten.«86 In dieserWeise werdenDis-
kurse reproduziert, dieden»Bedarfnach InszenierungvonÜberlegenheit und
modernitas gegnüberderaetasmedia«87ausdrückenundmitder schon inder
Zeit derRenaissancedie »ältere«GeschichteundKulturentsorgtwurden. »Die
Guten« indieserGeschichte (»wir« inderwissenschaftlichenNeuzeit)konnten
sichdurchdieLeistungenvonBehaim,Kolumbus,KopernikusundGalileigegen
die Rückständigkeit und Borniertheit dermittelalterlichen »Anderen« durch-
setzen. Ohne historische »Perspektivenreflexion und -begründung«,88mit der
die mit einer spezifischen Narration zusammenhängenden »maßgeblichen
OrientierungsproblemeimKontextderGegenwarthindurchsichtiggemacht«89
werden, Bilder eines »finsterenMittelalters« zu vermitteln mit dem Ziel, die
eigeneZeitalsüberlegenerscheinenzulassen,entspricht indiesemSinnenicht
denKriteriendernormativenTriftigkeit.90
Fazit:DasLernpotenzial desBehaimmythosoderdie
ÄsthetisierungundPolitisierunghistorischerErinnerung
Der Befund ist eindeutig. Die Erzählung überMartin Behaim, wie sie sich in
Schulbüchern alsManifestationenvonGeschichtskultur präsentiert, hält einer
Triftigkeitsüberprüfungnichtstand.DadarüberhinausdieErzählungerstensin
derGesellschaft als »wahr« betrachtet und zweitens häufig reproduziertwird,
handelt es sich um einen Geschichtsmythos. Dessen Durchsetzung innerhalb
undVerbleib inderGeschichtskultur ist durchpolitischeund ästhetischeFak-
torenbedingt und zwar insofern, als ästhetische undpolitische Sinnbildungs-
strategienzurZeitderEntstehungundDurchsetzungdesMythosdiekognitiven
Sinnbildungsstrategiendominierten.DieDominanzvonästhetischenoderpo-
litischen Sinnbildungsstrategien gegenüber kognitiven wird von Rüsen als
»Ästhetisierung«bzw.»Politisierung«bezeichnet.91 IndiesemSinne lassensich
86 KrügermolesGlabosa, 58.
87 Ebd.
88 Rüsen,Historik, 61.
89 Ebd.
90 Zu diesemThema imZusammenhangmit der normativen Triftigkeit vgl. auchWaltraud
Schreiber, »Schulgeschichtsbücher als Grundlage für dieMethodenentwicklung«, in:Wal-
traud Schreiber u.a. (Hg.): Analyse von Schulbüchern als Grundlage empirischer Ge-
schichtsdidaktik, Stuttgart: Kohlhammer, 2013, 38–65, 44; Michael Sauer,Geschichte un-
terrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, Seelze-Velber: Kallmeyer,
2.Auflage 2003, 64f.; ZumMittelalter imGeschichtsunterricht vgl.WolfgangHasbergund
UweUffelmann,Mittelalter undGeschichtsdidaktik. ZumStand einerDidaktik desMittel-
alters,Neuried: arsuna, 2002.
91 Rüsen,Geschichtskultur, 517f.
HistorischDenken lernenmitdemMythosMartinBehaim 109
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
back to the
book Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag"
Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher