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zwarder räumlichen, der narrativenundder bildlichenVerfasstheit desKolo-
nialmythos.
Räume
Die Fiktion des leeren Raumes ist ein wesentlicher Bestandteil des Kolonial-
mythos. Die zu kolonisierenden Gebiete werden als terra nullius, als weiße
Flecken auf einer Landkarte imaginiert, die von den europäischen Kolonial-
mächtenerst zuzeichnenunddannzuvervollständigen ist.27EuropäischePio-
niere,Missionare,Soldaten,Händler,Beamte,SiedlerundWissenschaftler sind
beteiligt an dieserUnternehmung, die unbekannteGebiete in bekanntes Land
verwandelt. Durch Aufzeichnung, Vermessung und Benennung schließen die
EuropäerInnennicht etwa eigeneWissenslücken, sondern sie hebendieTerri-
torien indasBewusstseinderWelt insgesamt. IndieserPerspektivegleichtdie
kolonialeEroberungeinemAktder Schöpfungmit der siederbekanntenWelt
neueGebietehinzufügt.DiebestehendenNamenvonFlüssen,Bergen,Wüsten
oder geografisch markanten Formationen wissentlich oder unwissentlich
ignorierend, schafftdiekolonialeDurchdringungdesafrikanischenRaumsein
europäischesAfrikabild –undmachtdamitAfrika selbst zumMythos.28Es ist
Teil desMythos, dass dieser Schöpfungsakt der Entdeckung und Benennung
einesneuenKontinents allein auf europäischeKenntnisseundFertigkeitenzu-
rückgeführt wird. Indigenes Wissen, ohne das keine Forschungsreise hätte
durchgeführtwerdenkönnen,wirdsystematischvergessen.29Damiteuropäische
Afrikareisende in dieser Weise als Wissende auftreten können, müssen Ver-
flechtungen jedoch zugunsten von dichotomischen Darstellungen aufgelöst
werden.DieeuropäischeBenennungschließlichmarkiertHerrschaftsansprüche
undetabliert zugleichEuropa inAfrika.
Als eineVariante desMythems vom leerenRaum lässt sich dieVorstellung
vonderEntstehungeinesneuenEuropa inAfrikaverstehen.DerKolonialismus
hat in dieser Sichtweise nicht nur neue Länder entstehen lassen, sondern ihre
27 Ein Beispiel bietet die »Karte des Britischen Empire« von 1886, die alle nicht-britischen
Einflussgebiete weiß lässt und das Empire als ein weltumspannendes Unternehmen für
Freiheit, Brüderlichkeit undZusammenarbeit entwirft. SusanneGrindel, »›so viel vonder
Karte vonAfrikabritisch rot zumalenalsmöglich‹.KartenkolonialerHerrschaft in euro-
päischenGeschichtsschulbücherndes 20. Jahrhunderts«, in:VadimOswalt undPeterHas-
linger(Hg.),KampfderKarten.Propaganda-undGeschichtskartenalspolitischeInstrumente
und Identitätstexte,Marburg:Herder Institut, 2012, 258–287, 259.
28 Winfried Speitkamp, »Afrika«, in:Wodianka und Ebert, LexikonmodernerMythen, 6–9.
29 RebekkaHabermas undAlexandra Przyrembel, »Einleitung«, in: dies. (Hg.),VonKäfern,
Märkten undMenschen. Kolonialismus undWissen in derModerne, Göttingen: Vanden-
hoeck& Ruprecht, 2013, 9–26.
MythosKolonialismus.DieeuropäischeExpansion inAfrika 125
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher