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Gouraudmit einer Einheit von 200 Tiraillaeurs S8n8galais (einer Infanterie-
einheit der französischenKolonialtruppen aus denwestafrikanischenKoloni-
algebieten),dieBeschreibungderPersonSamorysunddieFotografiedesstreng
bewachten, aber aufrecht stehenden und ungefesselten Samory kombiniert
VorstellungendesFremden,WildenundBarbaren.Samorywirdalsintelligenter
undverschlagenerKriegsherrbeschrieben,der seineGrausamkeitenalsnatür-
liche Begleiterscheinung des Krieges ansieht, worin er in der Darstellung des
SchulbuchsdenSchwarzen inganzAfrikagleiche.48DaSamorymitMenschen
handelt, gilt er als »furchteinflößender« oder gar »bestialischer Sklavenhänd-
ler«49. Er hinterlasseüberall Blut undZerstörungundwolle sich aufVerhand-
lungenmit Frankreich nicht einlassen.Daher erscheint es legitim, denKampf
gegen ihn»bis zumäußersten« zu führen.Der imSchulbuchbezeugteRespekt
vordemniedergerungenenGegner–inTextundBild– lässtdiezivilisatorische
Überlegenheit derFranzosenschließlichumsodeutlicherhervortreten.
GeschichtskulturundMythosrezeption
Abschließend soll die eingangs aufgeworfene Frage nach demVerhältnis von
Geschichtskultur und Mythosrezeption aufgegriffen werden. Wie gehen die
neueren englischen, französischenunddeutschenGeschichtsschulbücher also
mit den überkommenen Mythologisierungen und dem geschichtskulturellen
Bedürfnis nach »großen Erzählungen«50umundwie reagieren sie auf die ak-
tuellenAnsätze derGlobalgeschichte unddes Postkolonialismus,wenn sie die
Geschichte der europäischen Expansion behandeln? Eine ungebrochene Fort-
schreibung des kolonialenMythos ist angesichts fachwissenschaftlicher Ent-
wicklungen und den aktuellen gesellschaftlichen Debatten um das Erbe der
Kolonialzeit nicht zu erwarten und in den Schulbüchern auch nicht nachzu-
weisen. Gleichwohl sindMythen zählebig, wie eingangs an der Aktualität des
Kolonialmythos gezeigt und anschließend anhandder räumlichen, narrativen
und bildlichen Dimensionen, in denen er unterschwellig fortlebt, ausgeführt.
MythenstrukturierenkomplexeVerhältnisseeinfachundklarundsiekommen
dem Bedarf nach Sinnstiftung und Identifizierung gerade in Zeiten gesell-
schaftlicher Umbrüche oder Veränderungen nach. Geschichtsschulbücher
müssen solchen populären Erzählungen, die historischeKontingenz eliminie-
48 Ebd., 404.
49 ImOriginal »f8rocemarchandd’esclaves«, ebd.
50 Jean-FranÅoisLyotardsah inseinerpostmodernenGegenwartsdiagnosedie integrierenden
Metaerzählungen der Aufklärung oder des Idealismus als gescheitert an. Jean-FranÅois
Lyotard,Das postmoderneWissen, Peter Engelmann (Hg.) undOtto Pfersmann (Übers.),
Wien:Passagen, 2012 [Orig.Laconditionpostmoderne, 1979].
MythosKolonialismus.DieeuropäischeExpansion inAfrika 131
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Title
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Subtitle
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Authors
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Editor
- Christoph Kühberger
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 294
- Category
- Lehrbücher