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Alle Achtung also vor den guten Geistern, die in diesen Historikern der Moral
walten mögen! Aber gewiss ist leider, dass ihnen der historische Geist selber
abgeht, dass sie gerade von allen guten Geistern der Historie selbst in Stich
gelassen worden sind! Sie denken allesammt, wie es nun einmal alter
Philosophen-Brauch ist, wesentlich unhistorisch; daran ist kein Zweifel. Die
StĂĽmperei ihrer Moral-Genealogie kommt gleich am Anfang zu Tage, da, wo
es sich darum handelt, die Herkunft des Begriffs und Urtheils »gut« zu
ermitteln. »Man hat ursprünglich – so dekretieren sie – unegoistische
Handlungen von Seiten Derer gelobt und gut genannt, denen sie erwiesen
wurden, also denen sie nützlich waren; später hat man diesen Ursprung des
Lobes vergessen und die unegoistischen Handlungen einfach, weil
sie gewohnheitsmässig immer als gut gelobt wurden, auch als gut empfunden
– wie als ob sie an sich etwas Gutes wären.« Man sieht sofort: diese erste
Ableitung enthält bereits alle typischen Züge der englischen Psychologen-
Idiosynkrasie, – wir haben »die Nützlichkeit«, »das Vergessen«, »die
Gewohnheit« und am Schluss »den Irrthum«, Alles als Unterlage einer
Werthschätzung, auf welche der höhere Mensch bisher wie auf eine Art
Vorrecht des Menschen ĂĽberhaupt stolz gewesen ist. Dieser
Stolz soll gedemüthigt, diese Werthschätzung entwerthet werden: ist das
erreicht?… Nun liegt für mich erstens auf der Hand, dass von dieser Theorie
der eigentliche Entstehungsheerd des Begriffs »gut« an falscher Stelle gesucht
und angesetzt wird: das Urtheil »gut« rührt nicht von Denen her, welchen
»Güte« erwiesen wird! Vielmehr sind es »die Guten« selber gewesen, das
heisst die Vornehmen, Mächtigen, Höhergestellten und Hochgesinnten,
welche sich selbst und ihr Thun als gut, nämlich als ersten Ranges empfanden
und ansetzten, im Gegensatz zu allem Niedrigen, Niedrig-Gesinnten,
Gemeinen und Pöbelhaften. Aus diesem Pathos der Distanz heraus haben sie
sich das Recht, Werthe zu schaffen, Namen der Werthe auszuprägen, erst
genommen: was gieng sie die NĂĽtzlichkeit an! Der Gesichtspunkt der
NĂĽtzlichkeit ist gerade in Bezug auf ein solches heisses Herausquellen
oberster rang-ordnender, rang-abhebender Werthurtheile so fremd und
unangemessen wie möglich: hier ist eben das Gefühl bei einem Gegensatze
jenes niedrigen Wärmegrades angelangt, den jede berechnende Klugheit,
jeder Nützlichkeits-Calcul voraussetzt, – und nicht für einmal, nicht für eine
Stunde der Ausnahme, sondern fĂĽr die Dauer. Das Pathos der Vornehmheit
und Distanz, wie gesagt, das dauernde und dominirende Gesammt- und
Grundgefühl einer höheren herrschenden Art im Verhältniss zu einer niederen
Art, zu einem »Unten« – das ist der Ursprung des Gegensatzes »gut« und
»schlecht«. (Das Herrenrecht, Namen zu geben, geht so weit, dass man sich
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften