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Zweitens aber: ganz abgesehen von der historischen Unhaltbarkeit jener
Hypothese über die Herkunft des Werthurtheils »gut«, krankt sie an einem
psychologischen Widersinn in sich selbst. Die Nützlichkeit der unegoistischen
Handlung soll der Ursprung ihres Lobes sein, und dieser Ursprung
soll vergessen worden sein: – wie ist dies Vergessen auch nur möglich? Hat
vielleicht die Nützlichkeit solcher Handlungen irgend wann einmal aufgehört?
Das Gegentheil ist der Fall: diese Nützlichkeit ist vielmehr die
Alltagserfahrung zu allen Zeiten gewesen, Etwas also, das fortwährend immer
neu unterstrichen wurde; folglich, statt aus dem Bewusstsein zu
verschwinden, statt vergessbar zu werden, sich dem Bewusstsein mit immer
grösserer Deutlichkeit eindrücken musste. Um wie viel vernünftiger ist jene
entgegengesetzte Theorie (sie ist deshalb nicht wahrer –), welche zum
Beispiel von Herbert Spencer vertreten wird: der den Begriff »gut« als
wesensgleich mit dem Begriff »nützlich«, »zweckmässig« ansetzt, so dass in
den Urtheilen »gut« und »schlecht« die Menschheit gerade
ihreunvergessnen und unvergessbaren Erfahrungen über nützlich-
zweckmässig, über schädlich-unzweckmässig aufsummirt und sanktionirt
habe. Gut ist, nach dieser Theorie, was sich von jeher als nützlich bewiesen
hat: damit darf es als »werthvoll im höchsten Grade«, als »werthvoll an sich«
Geltung behaupten. Auch dieser Weg der Erklärung ist, wie gesagt, falsch,
aber wenigstens ist die Erklärung selbst in sich vernünftig und psychologisch
haltbar.
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften