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Zur Genealogie der Moral
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6 Von dieser Regel, dass der politische Vorrangs-Begriff sich immer in einen seelischen Vorrangs-Begriff auslöst, macht es zunächst noch keine Ausnahme (obgleich es Anlass zu Ausnahmen giebt), wenn die höchste Kaste zugleich die priesterlicheKaste ist und folglich zu ihrer Gesammt-Bezeichnung ein Prädikat bevorzugt, das an ihre priesterliche Funktion erinnert. Da tritt zum Beispiel »rein« und »unrein« sich zum ersten Male als Ständeabzeichen gegenüber; und auch hier kommt später ein »gut« und ein »schlecht« in einem nicht mehr ständischen Sinne zur Entwicklung. Im Übrigen sei man davor gewarnt, diese Begriffe »rein« und »unrein« nicht von vornherein zu schwer, zu weit oder gar symbolisch zu nehmen: alle Begriffe der älteren Menschheit sind vielmehr anfänglich in einem uns kaum ausdenkbaren Maasse grob, plump, äusserlich, eng, geradezu und insbesondere unsymbolisch verstanden worden. Der »Reine« ist von Anfang an bloss ein Mensch, der sich wäscht, der sich gewisse Speisen verbietet, die Hautkrankheiten nach sich ziehen, der nicht mit den schmutzigen Weibern des niederen Volkes schläft, der einen Abscheu vor Blut hat, – nicht mehr, nicht viel mehr! Andrerseits erhellt es freilich aus der ganzen Art einer wesentlich priesterlichen Aristokratie, warum hier gerade frühzeitig sich die Werthungs-Gegensätze auf eine gefährliche Weise verinnerlichen und verschärfen konnten; und in der That sind durch sie schliesslich Klüfte zwischen Mensch und Mensch aufgerissen worden, über die selbst ein Achill der Freigeisterei nicht ohne Schauder hinwegsetzen wird. Es ist von Anfang an etwas Ungesundes in solchen priesterlichen Aristokratien und in den daselbst herrschenden, dem Handeln abgewendeten, theils brütenden, theils gefühls-explosiven Gewohnheiten, als deren Folge jene den Priestern aller Zeiten fast unvermeidlich anhaftende intestinale Krankhaftigkeit und Neurasthenie erscheint; was aber von ihnen selbst gegen diese ihre Krankhaftigkeit als Heilmittel erfunden worden ist, – muss man nicht sagen, dass es sich zuletzt in seinen Nachwirkungen noch hundert Mal gefährlicher erwiesen hat, als die Krankheit, von der es erlösen sollte? Die Menschheit selbst krankt noch an den Nachwirkungen dieser priesterlichen Kur-Naivetäten! Denken wir zum Beispiel an gewisse Diätformen (Vermeidung des Fleisches), an das Fasten, an die geschlechtliche Enthaltsamkeit, an die Flucht »in die Wüste« (Weir Mitchell’sche Isolirung, freilich ohne die darauf folgende Mastkur und Überernährung, in der das wirksamste Gegenmittel gegen alle Hysterie des asketischen Ideals besteht): hinzugerechnet die ganze sinnenfeindliche, faul- und raffinirtmachende Metaphysik der Priester, ihre Selbst-Hypnotisirung nach Art des Fakirs und Brahmanen – Brahman als gläserner Knopf und fixe Idee benutzt – und das schliessliche, nur zu begreifliche allgemeine Satthaben mit seiner Radikalkur,
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Zur Genealogie der Moral
Title
Zur Genealogie der Moral
Author
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Date
1887
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.0 cm
Pages
148
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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