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– Man wird bereits errathen haben, wie leicht sich die priesterliche
Werthungs-Weise von der ritterlich-aristokratischen abzweigen und dann zu
deren Gegensatze fortentwickeln kann; wozu es in Sonderheit jedes Mal einen
Anstoss giebt, wenn die Priesterkaste und die Kriegerkaste einander
eifersĂĽchtig entgegentreten und ĂĽber den Preis mit einander nicht einig
werden wollen. Die ritterlich-aristokratischen Werthurtheile haben zu ihrer
Voraussetzung eine mächtige Leiblichkeit, eine blühende, reiche, selbst
überschäumende Gesundheit, sammt dem, was deren Erhaltung bedingt,
Krieg, Abenteuer, Jagd, Tanz, Kampfspiele und Alles ĂĽberhaupt, was starkes,
freies, frohgemuthes Handeln in sich schliesst. Die priesterlich-vornehme
Werthungs-Weise hat – wir sahen es – andere Voraussetzungen: schlimm
genug fĂĽr sie, wenn es sich um Krieg handelt! Die Priester sind, wie bekannt,
die bösesten Feinde – weshalb doch? Weil sie die ohnmächtigsten sind. Aus
der Ohnmacht wächst bei ihnen der Hass in’s Ungeheure und Unheimliche,
in’s Geistigste und Giftigste. Die ganz grossen Hasser in der Weltgeschichte
sind immer Priester gewesen, auch die geistreichsten Hasser: – gegen den
Geist der priesterlichen Rache kommt ĂĽberhaupt aller ĂĽbrige Geist kaum in
Betracht. Die menschliche Geschichte wäre eine gar zu dumme Sache ohne
den Geist, der von den Ohnmächtigen her in sie gekommen ist: – nehmen wir
sofort das grösste Beispiel. Alles, was auf Erden gegen »die Vornehmen«,
»die Gewaltigen«, »die Herren«, »die Machthaber« gethan worden ist, ist
nicht der Rede werth im Vergleich mit dem, was die Juden gegen sie gethan
haben: die Juden, jenes priesterliche Volk, das sich an seinen Feinden und
Überwältigern zuletzt nur durch eine radikale Umwerthung von deren
Werthen, also durch einen Akt der geistigsten Rache Genugthuung zu
schaffen wusste. So allein war es eben einem priesterlichen Volke gemäss,
dem Volke der zurĂĽckgetretensten priesterlichen Rachsucht. Die Juden sind es
gewesen, die gegen die aristokratische Werthgleichung (gut = vornehm =
mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) mit einer furchteinflössenden
Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen des
abgrĂĽndlichsten Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben,
nämlich »die Elenden sind allein die Guten, die Armen, Ohnmächtigen,
Niedrigen sind allein die Guten, die Leidenden, Entbehrenden, Kranken,
Hässlichen sind auch die einzig Frommen, die einzig Gottseligen, für sie
allein giebt es Seligkeit, – dagegen ihr, ihr Vornehmen und Gewaltigen, ihr
seid in alle Ewigkeit die Bösen, die Grausamen, die Lüsternen, die
Unersättlichen, die Gottlosen, ihr werdet auch ewig die Unseligen,
Verfluchten und Verdammten sein!« … Man weiss, wer die Erbschaft dieser
jüdischen Umwerthung gemacht hat… Ich erinnere in Betreff der ungeheuren
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften