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»schlecht« »niedrig« »unglücklich« nie wieder aufgehört haben, für das
griechische Ohr in Einen Ton auszuklingen, mit einer Klangfarbe, in der
»unglücklich« überwiegt: dies als Erbstück der alten edleren aristokratischen
Werthungsweise, die sich auch im Verachten nicht verleugnet (– Philologen
seien daran erinnert, in welchem Sinne οιζυρος, υνολβος, τλωμων,
δυστυχεαν, ξυμφορι gebraucht werden). Die »Wohlgeborenen« fühlten sich
eben als die »Glücklichen«; sie hatten ihr Glück nicht erst durch einen Blick
auf ihre Feinde künstlich zu construiren, unter Umständen
einzureden, einzulügen (wie es alle Menschen des Ressentiment zu thun
pflegen); und ebenfalls wussten sie, als volle, mit Kraft überladene,
folglich nothwendig aktive Menschen, von dem Glück das Handeln nicht
abzutrennen, – das Thätigsein wird bei ihnen mit Nothwendigkeit in’s Glück
hineingerechnet (woher ε πριττειν seine Herkunft nimmt) – Alles sehr im
Gegensatz zu dem »Glück« auf der Stufe der Ohnmächtigen, Gedrückten, an
giftigen und feindseligen Gefühlen Schwärenden, bei denen es wesentlich als
Narcose, Betäubung, Ruhe, Frieden, »Sabbat«, Gemüths-Ausspannung und
Gliederstrecken, kurz passivisch auftritt. Während der vornehme Mensch vor
sich selbst mit Vertrauen und Offenheit lebt (γεννααος »edelbürtig«
unterstreicht die nuance »aufrichtig« und auch wohl »naiv«), so ist der
Mensch des Ressentiment weder aufrichtig, noch naiv, noch mit sich selber
ehrlich und geradezu. Seine Seele schielt; sein Geist liebt Schlupfwinkel,
Schleichwege und Hinterthüren, alles Versteckte muthet ihn an
als seine Welt, seine Sicherheit, sein Labsal; er versteht sich auf das
Schweigen, das Nicht-Vergessen, das Warten, das vorläufige Sich-
verkleinern, Sich-demüthigen. Eine Rasse solcher Menschen des
Ressentiment wird nothwendig endlich klüger sein als irgend eine vornehme
Rasse, sie wird die Klugheit auch in ganz andrem Maasse ehren: nämlich als
eine Existenzbedingung ersten Ranges, während die Klugheit bei vornehmen
Menschen leicht einen feinen Beigeschmack von Luxus und Raffinement an
sich hat: – sie ist eben hier lange nicht so wesentlich, als die vollkommne
Funktions-Sicherheit der regulirenden unbewussten Instinkte oder selbst eine
gewisse Unklugheit, etwa das tapfre Drauflosgehn, sei es auf die Gefahr, sei
es auf den Feind, oder jene schwärmerische Plötzlichkeit von Zorn, Liebe,
Ehrfurcht, Dankbarkeit und Rache, an der sich zu allen Zeiten die vornehmen
Seelen wiedererkannt haben. Das Ressentiment des vornehmen Menschen
selbst, wenn es an ihm auftritt, vollzieht und erschöpft sich nämlich in einer
sofortigen Reaktion, es vergiftet darum nicht: andrerseits tritt es in unzähligen
Fällen gar nicht auf, wo es bei allen Schwachen und Ohnmächtigen
unvermeidlich ist. Seine Feinde, seine Unfälle, seine Unthaten selbst nicht
lange ernst nehmen können – das ist das Zeichen starker voller Naturen, in
denen ein Überschuss plastischer, nachbildender, ausheilender, auch
vergessen machender Kraft ist (ein gutes Beispiel dafür aus der modernen
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften