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Gerade umgekehrt also wie bei dem Vornehmen, der den Grundbegriff »gut«
voraus und spontan, nämlich von sich aus concipirt und von da aus erst eine
Vorstellung von »schlecht« sich schafft! Dies »schlecht« vornehmen
Ursprungs und jenes »böse« aus dem Braukessel des ungesättigten Hasses –
das erste eine Nachschöpfung, ein Nebenher, eine Complementärfarbe, das
zweite dagegen das Original, der Anfang, die eigentliche That in der
Conception einer Sklaven-Moral – wie verschieden stehen die beiden
scheinbar demselben Begriff »gut« entgegengestellten Worte »schlecht« und
»böse« da! Aber es ist nicht derselbe Begriff »gut«: vielmehr frage man sich
doch, wer eigentlich »böse« ist, im Sinne der Moral des Ressentiment. In aller
Strenge geantwortet: eben der »Gute« der andren Moral, eben der Vornehme,
der Mächtige, der Herrschende, nur umgefärbt, nur umgedeutet, nur
umgesehn durch das Giftauge des Ressentiment. Hier wollen wir Eins am
wenigsten leugnen: wer jene »Guten« nur als Feinde kennen lernte, lernte
auch nichts als böse Feindekennen, und dieselben Menschen, welche so
streng durch Sitte, Verehrung, Brauch, Dankbarkeit, noch mehr durch
gegenseitige Bewachung, durch Eifersucht inter pares in Schranken gehalten
sind, die andrerseits im Verhalten zu einander so erfinderisch in Rücksicht,
Selbstbeherrschung, Zartsinn, Treue, Stolz und Freundschaft sich beweisen, –
sie sind nach Aussen hin, dort wo das Fremde, die Fremde beginnt, nicht viel
besser als losgelassne Raubthiere. Sie geniessen da die Freiheit von allem
socialen Zwang, sie halten sich in der Wildniss schadlos für die Spannung,
welche eine lange Einschliessung und Einfriedigung in den Frieden der
Gemeinschaft giebt, sie treten in die Unschuld des Raubthier-
Gewissens zurück, als frohlockende Ungeheuer, welche vielleicht von einer
scheusslichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit
einem Übermuthe und seelischen Gleichgewichte davongehen, wie als ob nur
ein Studentenstreich vollbracht sei, überzeugt davon, dass die Dichter für
lange nun wieder Etwas zu singen und zu rühmen haben. Auf dem Grunde
aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubthier, die prachtvolle nach Beute
und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen; es bedarf für
diesen verborgenen Grund von Zeit zu Zeit der Entladung, das Thier muss
wieder heraus, muss wieder in die Wildniss zurück: – römischer, arabischer,
germanischer, japanesischer Adel, homerische Helden, skandinavische
Wikinger – in diesem Bedürfniss sind sie sich alle gleich. Die vornehmen
Rassen sind es, welche den Begriff »Barbar« auf all den Spuren hinterlassen
haben, wo sie gegangen sind; noch aus ihrer höchsten Cultur heraus verräth
sich ein Bewusstsein davon und ein Stolz selbst darauf (zum Beispiel wenn
Perikles seinen Athenern sagt, in jener berühmten Leichenrede, »zu allem
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften