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Zur Genealogie der Moral
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die Vergesslichkeit zum Sieg zu kommen und ein paar primitive Erfordernisse des socialen Zusammenlebens diesen Augenblicks-Sklaven des Affekts und der Begierde gegenwärtig zu erhalten. Wir Deutschen betrachten uns gewiss nicht als ein besonders grausames und hartherziges Volk, noch weniger als besonders leichtfertig und in-den-Tag-hineinleberisch; aber man sehe nur unsre alten Strafordnungen an, um dahinter zu kommen, was es auf Erden für Mühe hat, ein »Volk von Denkern« heranzuzüchten (will sagen: das Volk Europa’s, unter dem auch heute noch das Maximum von Zutrauen, Ernst, Geschmacklosigkeit und Sachlichkeit zu finden ist und das mit diesen Eigenschaften ein Anrecht darauf hat, alle Art von Mandarinen Europa’s heran zu züchten). Diese Deutschen haben sich mit furchtbaren Mitteln ein Gedächtniss gemacht, um über ihre pöbelhaften Grund-Instinkte und deren brutale Plumpheit Herr zu werden: man denke an die alten deutschen Strafen, zum Beispiel an das Steinigen (– schon die Sage lässt den Mühlstein auf das Haupt des Schuldigen fallen), das Rädern (die eigenste Erfindung und Spezialität des deutschen Genius im Reich der Strafe!), das Werfen mit dem Pfahle, das Zerreissen- oder Zertretenlassen durch Pferde (das »Viertheilen«), das Sieden des Verbrechers in Öl oder Wein (noch im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert), das beliebte Schinden (»Riemenschneiden«), das Herausschneiden des Fleisches aus der Brust; auch wohl dass man den Übelthäter mit Honig bestrich und bei brennender Sonne den Fliegen überliess. Mit Hülfe solcher Bilder und Vorgänge behält man endlich fünf, sechs »ich will nicht« im Gedächtnisse, in Bezug auf welche man seinVersprechen gegeben hat, um unter den Vortheilen der Societät zu leben, – und wirklich! mit Hülfe dieser Art von Gedächtniss kam man endlich »zur Vernunft«! – Ah, die Vernunft, der Ernst, die Herrschaft über die Affekte, diese ganze düstere Sache, welche Nachdenken heisst, alle diese Vorrechte und Prunkstücke des Menschen: wie theuer haben sie sich bezahlt gemacht! wie viel Blut und Grausen ist auf dem Grunde aller »guten Dinge«!…
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Zur Genealogie der Moral
Title
Zur Genealogie der Moral
Author
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Date
1887
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.0 cm
Pages
148
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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