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Frevel angerichteten Schaden ab und erreicht damit auf die Dauer das
Umgekehrte von dem, was alle Rache will, welche den Gesichtspunkt des
Geschädigten allein sieht, allein gelten lässt –: von nun an wird das Auge für
eine immer unpersönlichere Abschätzung der That eingeübt, sogar das Auge
des Geschädigten selbst (obschon dies am allerletzten, wie voran bemerkt
wurde). – Demgemäss giebt es erst von der Aufrichtung des Gesetzes an
»Recht« und »Unrecht« (und nicht, wie Dühring will, von dem Akte der
Verletzung an). An sichvon Recht und Unrecht reden entbehrt alles Sinns, an
sich kann natĂĽrlich ein Verletzen, Vergewaltigen, Ausbeuten, Vernichten
nichts »Unrechtes« sein, insofern das Leben essentiell, nämlich in seinen
Grundfunktionen verletzend, vergewaltigend, ausbeutend, vernichtend fungirt
und gar nicht gedacht werden kann ohne diesen Charakter. Man muss sich
sogar noch etwas Bedenklicheres eingestehn: dass, vom höchsten
biologischen Standpunkte aus, Rechtszustände immer nur Ausnahme-
Zustände sein dürfen, als theilweise Restriktionen des eigentlichen
Lebenswillens, der auf Macht aus ist, und sich dessen Gesammtzwecke als
Einzelmittel unterordnend: nämlich als Mittel, grössere Macht-Einheiten zu
schaffen. Eine Rechtsordnung souverain und allgemein gedacht, nicht als
Mittel im Kampf von Macht-Complexen, sondern als Mittel gegenallen
Kampf überhaupt, etwa gemäss der Communisten-Schablone Dühring’s, dass
jeder Wille jeden Willen als gleich zu nehmen habe, wäre
ein lebensfeindliches Princip, eine Zerstörerin und Auflöserin des Menschen,
ein Attentat auf die Zukunft des Menschen, ein Zeichen von ErmĂĽdung, ein
Schleichweg zum Nichts. –
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften