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Zur Genealogie der Moral
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23 Dies genüge ein für alle Mal über die Herkunft des »heiligen Gottes«. – Dass an sich die Conception von Göttern nicht nothwendig zu dieser Verschlechterung der Phantasie führen muss, deren Vergegenwärtigung wir uns für einen Augenblick nicht erlassen durften, dass es vornehmere Arten giebt, sich der Erdichtung von Göttern zu bedienen, als zu dieser Selbstkreuzigung und Selbstschändung des Menschen, in der die letzten Jahrtausende Europa’s ihre Meisterschaft gehabt haben, – das lässt sich zum Glück aus jedem Blick noch abnehmen, den man auf die griechischen Götter wirft, diese Wiederspiegelungen vornehmer und selbstherrlicher Menschen, in denen das Thier im Menschen sich vergöttlicht fühlte undnicht sich selbst zerriss, nicht gegen sich selber wüthete! Diese Griechen haben sich die längste Zeit ihrer Götter bedient, gerade um sich das »schlechte Gewissen« vom Leibe zu halten, um ihrer Freiheit der Seele froh bleiben zu dürfen: also in einem umgekehrten Verstande als das Christenthum Gebrauch von seinem Gotte gemacht hat. Sie giengen darin sehr weit, diese prachtvollen und löwenmüthigen Kindsköpfe; und keine geringere Autorität als die des homerischen Zeus selbst giebt es ihnen hier und da zu verstehn, dass sie es sich zu leicht machen. »Wunder! sagt er einmal – es handelt sich um den Fall des Ägisthos, um einen sehr schlimmen Fall – »Wunder, wie sehr doch klagen die Sterblichen wider die Götter! »Nur von uns sei Böses, vermeinen sie; aber sie selber »Schaffen durch Unverstand, auch gegen Geschick, sich das Elend.« Doch hört und sieht man hier zugleich, auch dieser olympische Zuschauer und Richter ist ferne davon, ihnen deshalb gram zu sein und böse von ihnen zu denken: »was sie thöricht sind!« so denkt er bei den Unthaten der Sterblichen, – und »Thorheit«, »Unverstand«, ein wenig »Störung im Kopfe«, so viel haben auch die Griechen der stärksten, tapfersten Zeit selbst bei sichzugelassen als Grund von vielem Schlimmen und Verhängnissvollen: – Thorheit, nicht Sünde! versteht ihr das?… Selbst aber diese Störung im Kopfe war ein Problem – »ja, wie ist sie auch nur möglich? woher mag sie eigentlich gekommen sein, bei Köpfen, wie wir sie haben, wir Menschen der edlen Abkunft, des Glücks, der Wohlgerathenheit, der besten Gesellschaft, der Vornehmheit, der Tugend?« – so fragte sich Jahrhunderte lang der vornehme Grieche angesichts jedes ihm unverständlichen Greuels und Frevels, mit dem sich Einer von seines Gleichen befleckt hatte. »Es muss ihn wohl ein Gottbethört haben«, sagte er sich endlich, den Kopf schüttelnd… Dieser Ausweg ist typisch für Griechen… Dergestalt dienten damals die Götter dazu, den Menschen bis zu einem gewissen Grade auch im Schlimmen zu rechtfertigen, sie dienten als Ursachen des Bösen – damals nahmen sie nicht
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Zur Genealogie der Moral
Title
Zur Genealogie der Moral
Author
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Date
1887
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.0 cm
Pages
148
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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