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Zur Genealogie der Moral
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Laune, jede Laune ihr schlechtes Wetter auslässt. Sein »mütterlicher« Instinkt, die geheime Liebe zu dem, was in ihm wächst, weist ihn auf Lagen hin, wo man es ihm abnimmt, an sich zu denken; in gleichem Sinne, wie der Instinkt der Mutter im Weibe die abhängige Lage des Weibes überhaupt bisher festgehalten hat. Sie verlangen zuletzt wenig genug, diese Philosophen, ihr Wahlspruch ist »wer besitzt, wird besessen« –: nicht, wie ich wieder und wieder sagen muss, aus einer Tugend, aus einem verdienstlichen Willen zur Genügsamkeit und Einfalt, sondern weil es ihr oberster Herr so von ihnen verlangt, klug und unerbittlich verlangt: als welcher nur für Eins Sinn hat und Alles, Zeit, Kraft, Liebe, Interesse nur dafür sammelt, nur dafür aufspart. Diese Art Mensch liebt es nicht, durch Feindschaften gestört zu werden, auch durch Freundschaften nicht: sie vergisst oder verachtet leicht. Es dünkt ihr ein schlechter Geschmack, den Märtyrer zu machen; »für die Wahrheit zu leiden« – das überlässt sie den Ehrgeizigen und Bühnenhelden des Geistes und wer sonst Zeit genug dazu hat (– sie selbst, die Philosophen, haben Etwas für die Wahrheit zu thun). Sie machen einen sparsamen Verbrauch von grossen Worten; man sagt, dass ihnen selbst das Wort »Wahrheit« widerstehe: es klinge grossthuerisch… Was endlich die »Keuschheit« der Philosophen anbelangt, so hat diese Art Geist ihre Fruchtbarkeit ersichtlich wo anders als in Kindern; vielleicht wo anders auch das Fortleben ihres Namens, ihre kleine Unsterblichkeit (noch unbescheidener drückte man sich im alten Indien unter Philosophen aus »wozu Nachkommenschaft Dem, dessen Seele die Welt ist?«). Darin ist Nichts von Keuschheit aus irgend einem asketischen Skrupel und Sinnenhass, so wenig es Keuschheit ist, wenn ein Athlet oder Jockey sich der Weiber enthält: so will es vielmehr, zum Mindesten für die Zeiten der grossen Schwangerschaft, ihr dominirender Instinkt. Jeder Artist weiss, wie schädlich in Zuständen grosser geistiger Spannung und Vorbereitung der Beischlaf wirkt; für die mächtigsten und instinktsichersten unter ihnen gehört dazu nicht erst die Erfahrung, die schlimme Erfahrung, – sondern eben ihr »mütterlicher« Instinkt ist es, der hier zum Vortheil des werdenden Werkes rücksichtslos über alle sonstigen Vorräthe und Zuschüsse von Kraft, von vigor des animalen Lebens verfügt: die grössere Kraft verbraucht dann die kleinere. – Man lege sich übrigens den oben besprochenen Fall Schopenhauer’s nach dieser Interpretation zurecht: der Anblick des Schönen wirkte offenbar bei ihm als auslösender Reiz auf die Hauptkraft seiner Natur (die Kraft der Besinnung und des vertieften Blicks); so dass diese dann explodirte und mit einem Male Herr des Bewusstseins wurde. Damit soll durchaus die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sein, dass jene eigenthümliche Süssigkeit und Fülle, die dem ästhetischen Zustande eigen ist, gerade von der Ingredienz »Sinnlichkeit« ihre Herkunft nehmen könnte, (wie aus derselben Quelle jener »Idealismus« stammt, der mannbaren Mädchen eignet) – dass somit die Sinnlichkeit beim Eintritt des ästhetischen Zustandes nicht aufgehoben ist,
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Zur Genealogie der Moral
Title
Zur Genealogie der Moral
Author
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Date
1887
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.0 cm
Pages
148
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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