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Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: DĂĽhring, das erste Moral-
Grossmaul, das es jetzt giebt, selbst noch unter seines Gleichen, den
Antisemiten). Das sind alles Menschen des Ressentiment, diese physiologisch
VerunglĂĽckten und Wurmstichigen, ein ganzes zitterndes Erdreich
unterirdischer Rache, unerschöpflich, unersättlich in Ausbrüchen gegen die
Glücklichen und ebenso in Maskeraden der Rache, in Vorwänden zur Rache:
wann wĂĽrden sie eigentlich zu ihrem letzten, feinsten, sublimsten Triumph
der Rache kommen? Dann unzweifelhaft, wenn es ihnen gelänge, ihr eignes
Elend, alles Elend überhaupt den Glücklichen in’s Gewissen zu schieben: so
dass diese sich eines Tags ihres Glücks zu schämen bekönnen und vielleicht
unter einander sich sagten: »es ist eine Schande, glücklich zu sein! es giebt zu
viel Elend!«… Aber es könnte gar kein grösseres und verhängnissvolleres
Missverständniss geben, als wenn dergestalt die Glücklichen, die
Wohlgerathenen, die Mächtigen an Leib und Seele anfiengen, an ihrem Recht
auf Glück zu zweifeln. Fort mit dieser »verkehrten Welt«! Fort mit dieser
schändlichen Verweichlichung des Gefühls! Dass die Kranken nicht die
Gesunden krank machen – und dies wäre eine solche Verweichlichung – das
sollte doch der oberste Gesichtspunkt auf Erden sein: – dazu aber gehört vor
allen Dingen, dass die Gesunden von den Kranken abgetrennt bleiben,
behĂĽtet selbst vor dem Anblick der Kranken, dass sie sich nicht mit den
Kranken verwechseln. Oder wäre es etwa ihre Aufgabe, Krankenwärter oder
Ärzte zu sein?… Aber sie könnten ihre Aufgabe gar nicht schlimmer
verkennen und verleugnen, – das Höhere soll sich nicht zum Werkzeug des
Niedrigeren herabwĂĽrdigen, das Pathos der Distanz soll in alle Ewigkeit auch
die Aufgaben aus einander halten! Ihr Recht, dazusein, das Vorrecht der
Glocke mit vollem Klange vor der misstönigen, zersprungenen, ist ja ein
tausendfach grösseres: sie allein sind die Bürgen der Zukunft, sie allein
sind verpflichtet für die Menschen-Zukunft. Was siekönnen, was sie sollen,
das dürften niemals Kranke können und sollen: aber damit sie können, was
nur sie sollen, wie stĂĽnde es ihnen noch frei, den Arzt, den Trostbringer, den
»Heiland« der Kranken zu machen?… Und darum gute Luft! gute Luft! Und
weg jedenfalls aus der Nähe von allen Irren- und Krankenhäusern der Cultur!
Und darum gute Gesellschaft, unsreGesellschaft! Oder Einsamkeit, wenn es
sein muss! Aber weg jedenfalls von den ĂĽblen DĂĽnsten der innewendigen
Verderbniss und des heimlichen Kranken-Wurmfrasses!… Damit wir uns
selbst nämlich, meine Freunde, wenigstens eine Weile noch gegen die zwei
schlimmsten Seuchen vertheidigen, die gerade für uns aufgespart sein mögen,
– gegen dengrossen Ekel am Menschen! gegen das grosse Mitleid mit dem
Menschen!…
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften