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Persönlichstes, seine Dummheiten, Traurigkeiten und Eckensteher-Sorgen
vor, als ob das An-sich-der-Dinge verpflichtet sei, sich darum zu
kĂĽmmern, das wird nicht mĂĽde, Gott selber in den kleinsten Jammer hinein
zu wickeln, in dem sie drin stecken. Und dieses beständige Auf-du-und-du
mit Gott des schlechtesten Geschmacks! Diese jĂĽdische, nicht bloss jĂĽdische
Zudringlichkeit gegen Gott mit Maul und Tatze!… Es giebt kleine verachtete
»Heidenvölker« im Osten Asien’s, von denen diese ersten Christen etwas
Wesentliches hätten lernen können, etwas Takt der Ehrfurcht; jene erlauben
sich nicht, wie christliche Missionare bezeugen, den Namen ihres Gottes
ĂĽberhaupt in den Mund zu nehmen. Dies dĂĽnkt mich delikat genug; gewiss
ist, dass es nicht nur für »erste« Christen zu delikat ist: man erinnere sich
doch etwa, um den Gegensatz zu spüren, an Luther, diesen »beredtesten« und
unbescheidensten Bauer, den Deutschland gehabt hat, und an die Lutherische
Tonart, die gerade ihm in seinen Zwiegesprächen mit Gott am besten gefiel.
Luther’s Widerstand gegen die Mittler-Heiligen der Kirche (insbesondere
gegen »des Teuffels Saw den Bapst«) war, daran ist kein Zweifel, im letzten
Grunde der Widerstand eines RĂĽpels, den die gute Etiquette der Kirche
verdross, jene Ehrfurchts-Etiquette des hieratischen Geschmacks, welche nur
die Geweihteren und Schweigsameren in das Allerheiligste einlässt und es
gegen die RĂĽpel zuschliesst. Diese sollen ein fĂĽr alle Mal gerade hier nicht
das Wort haben, – aber Luther, der Bauer, wollte es schlechterdings anders, so
war es ihm nicht deutsch genug: er wollte vor Allem direkt reden, selber
reden, »ungenirt« mit seinem Gotte reden… Nun, er hat’s gethan. – Das
asketische Ideal, man erräth es wohl, war niemals und nirgendswo eine
Schule des guten Geschmacks, noch weniger der guten Manieren, – es war im
besten Fall eine Schule der hieratischen Manieren –: das macht, es hat selber
Etwas im Leibe, das allen guten Manieren todfeind ist, – Mangel an Maass,
Widerwillen gegen Maass, es ist selbst ein »non plus ultra«.
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Zur Genealogie der Moral
- Title
- Zur Genealogie der Moral
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1887
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 148
- Category
- Geisteswissenschaften