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IV. Die Staatsgewalt und die Richtungen ihrer Betätigung. 29
anderer Verbände kann man sich dadurch entziehen, daß man aus dem Verbände
austritt. Die Staatsgewalt ist, da alle menschliche Gesittung den Staat zur Voraus-
setzung hat, unentrinnbar. Sie allein ist Herrschergewalt; denn der moderne Staat
hat alle Gewalt an sich gezogen. Die Gewalt aller anderen Verbände stammt vom
Staate; siekönnen sie nur soweit ausüben, als derStaat es zuläßt. Ursprünglich und
selbstherrlich ist nur die Staatsgewalt.
Die S u V e r ä n c t ä t^) des Staates besteht darin, daß seine Gewalt die
höchste und von jeder anderen äußerenMacht unabhängig ist (staatsrechtliche und
völkerrechtliche Souveränetät). Der BegriffderSouveränetätwurde zuerst inFrank-
reichim Laufe der Kämpfeum die Ausbildung der StaatsgewaltgegendieAnsprüche
der Stände, des Reiches und des Papstes entwickelt-) und späterhin zur Recht-
fertigung des Absolutismus benutzt^), da die Staatseinheit vorläufig nur in der
Machtvollkommenheit des Monarchen vorbereitet war. Die Vertreter des Volkes
und der Stände wenden dagegen ein, daß die Gewaltdem Fürstenvom Volke über-
tragen worden sei*). In den Kämpfenum die absolute Fürstengewalt wird das Wort
„Souveränetät" dazu benützt, um den Vorrang ursprünglicher und überragender
Machtstellung auszudrücken, der von der einen Seite für die Fürsten, von der
anderen für das Volk— unmittelbar oder durch Vermittlung der Stände— in An-
spruch genommen wh'd. Der Streit hierüber wirkt in dem politischen Gegensatz
zwischen ,,monarchischem Prinzip"^) und Volkssouveränetät bis zur Gegenwart
nach^). Immodernen Staate ist dieser Widerstreit geschlichtetdurch die Verfassung,
welche StellungundRechtskreis des Monarchen wie derVolksvertretung umschreibt.
Als Souveränetät wird nicht der Vorrang des einen oder anderen Staatsorganes
sondern die Eigenschaft der Staatsgewalt als oberste und unabhängige Gewalt
gekennzeichnet.
Nach zwei Richtungen hin äußert sich die Staatsgewalt : als Gebiets-
hoheit und als P e r s n a 1h h e i t. Als Gebietshoheit beherrscht sie die auf
dem Staatsgebiete befindüchen Menschen und Sachen'), als Personalhoheit be-
herrscht sie das Staatsvolk, also auch die außerhalb des Staatsgebietes weilenden
Staatsangehörigen. Daß aber die Staatsgewalt durch das Recht besclu-änkt werden
kann und soll, ist bereits weiter oben dargetan worden.
SeitdemMontesquieu in seinem berühmten Werke „Über den Geist der
Gesetze" (1748) die Lelu-e von derTeilung der Gewalten entwickelt hat^),
^) Ursprünglich superioritas, dann suprema potestas.— *) J e a n B o d i n, Six livres de la
Republique 1576.— ^) SoinsbesonderevonH o b b e s ; vergl. S. 26,Anm. 1.— *) Dies ist der Stand-
punkt der sogenannten Monarchoraachen, derjenigen politischen Schriftsteller, die den
Absolutismus unter Berufung auf dieVolksrechte bekämpften. Auch derberühmte DichterJohn
M i 1 1 n (1608—1674) gehörte dieser Richtung an.— «) Vergl. S. 33. — «) Auf die Verwechslung
von Souveränetät und monarchischem Prinzip ist dieausden romanischen Sprachenübernommene
Benennung des Monarchen als Souverän zurückzuführen. — ') Jedoch ergeben sich gewisse
Einschränkungen durch die sogenannte Exterritorialität. Vergl. hierüber S. 115 —
^) Während die großen Staatsphilosophen und Rechtslehrer des 18. Jahrhunderts über-
wiegend der naturrechtlichen Schule angehören, hatM o n t e s qu i e u als erster die Zusammen-
hänge zwischen den staatlichen Einrichtungen, der Beschaffenheit des Staatsgebietes und der
geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Staatsvolkes begriffen. Dadurch ist er der
Begründer der historischen und soziologischen Richtung in der Staatslehre
geworden. Seine politische Bedeutung besteht darin, daß er in der Blütezeit des Absolutismus
für politische Freiheit eingetreten ist. Die Teilung der Gewalten, das war die Formel, unter welcher
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book Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918