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52 X. Die Ausbildung der Verfassung.
der Reichsregierung obliegtdem verantwortlichen Reichsministerium. An der Spitze
derVerwaltung eines jeden Reichslandes stehenLandeschefs (Statthalter, beziehungs-
weiseLandeshauptmänner), die in Sachen der Reichsgewaltdem Reichsministerium,
für den Vollzug der Landesgesetze aber den Landtagen verantwortlich sind. Außer-
dem war zur Beratung des Ministeriums ein „Reichsrat" vorgesehen. Die Gerichts-
barkeit wird selbständig durch staatliche Gerichte ausgeübt; auch war gleichsam
als Vorläufer des gegenwärtig bestehenden Reichsgerichtes, wenn auch mit über-
wiegend abweichender Kompetenz, ein oberstes Reichsgericht in Aussicht ge-
nommen.
2. Die Verfassung vom 4. März 1849.
Alles in allemgenommen, war der lü-emsierer Verfassungsentwurf ein getreuer
Ausdruck der radikal liberalen Doktrinen jener Zeit. Von dem Prinzip der Volks-
souveränetät ausgehend, versuchte er Österreich als eine Föderation der einzelnen
Länder und innerhalb derselben ilu-er Volksstämme aufzubauen. Zur Ausführung
ist er nicht gelangt. Als „Erörterungen aus dem Gebiete der Theorie, welche nicht
nur mit den tatsächlichen Verhältnissen der Monarchie in entschiedenem Wider-
spruch stehen, sondern überhaupt derBegründung einesgeordneten Rechtszustandes
im Staate entgegentreten" bezeichnet das kaiserliche Manifest vom 4. März 1849
die Kremsierer Verhandlungen. Um die Annahme des damit gekennzeichneten
Verfassungsentwurfes zu verhindern, wurde der Reichstag aufgelöst und mit dem
genannten Manifest laaft kaiserhcher Machtvollkommenheit eine Reichsverfassung
erlassen. Als „oktropert" wird sie im Gegensatze zu der Theorie bezeichnet,
welche die „konstituierende Gewalt" für das Volkund seineVertretung inAnspruch
nimmt.DemPrinzip derVollissouveränetätgegenüber brachte alsodie„M ä r z v e r-
f a s s ung" das monarchische Prinzip wieder zur Geltung. Sie steht jedoch nicht
in völhgem Gegensatze zum lü-emsierer Entwmie, nimmt viehnehr wesenthche
Gedanken desselben auf, allerdings nicht, ohne seinen demoki-atischen Radikalismus
im Sinne eines gemäßigten Liberalismus zu mildern^). Andere Absichten des Krem-
sierer Entwurfes leben in der späteren praktischen Politik fort; auch auf die Re-
daktion der Dezembergesetze von 1867 sind sie in mchtigen Punkten von Einfluß
gewesen.
Die Märzverfassung bezweckt „die Wiedergeburt eines einheithchen Öster-
reichs". Zu diesem Zwecke faßt sie sämtliche „Kjonländer" mit Einschluß der
Länder der ungarischen Krone und des Lonibardisch-Venctianischen Königreiches
als Kaisertum Österreich zusammen. Sie bilden die „freie, selbständige, unteilbare
und unauflösbare konstitutionelle österreichische Erbmonarchie"^). Dasganze Reich
^) DerVerfasserderMärzverfassungwarderMinister des InnernFranz Graf Stadion.
Ihr Wortlaut findet sich in der B e r n a t z i k'schen Ausgabe der Verfassungsgesetze S. 147 ff.
abgedruckt.
— '^)DieEinbeziehungUngarnswardurch diemilitärischeNiederwerfungderungarischen
Revolution ermöglicht worden. Gleichwohl ist die „ungarische Verfassung von 1848" von der
größten Wichtigkeit sowohl für dieAusbildung derungarischen Verfassung als auch für die Stellung
Ungarns in der Gesaratmonarchie. Der ungarische Reichstag, deram 12. November 1847 in Preß-
burg zusammengetreten war, beschloß Ucämlich eine Reihe von Gesetzen, durch welche die alte
ständischeVerfassungUngarns unterEinbeziehung Siebenbürgens, Kroatiens, Slawoniens und der
Militärgrenze in eine moderne Repräsentatiwerfassung umgewandelt wurde. Diese Gesetze er-
hielten am 11. April 1848 die königliche Sanktion. In dem Bestreben, die Unabhängigkeit und
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918