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.XVIII. Der österreichische ReicMrat. 95
Kunst auf Lebenszeit in das Herrenhaus berufen werden. Die Zahl dieser letzteren
darf nicht unter 150 verbleiben und nicht 170 übersteigen^). Durch die geringe
Spannung zwischen der Höchstzahl und der Mindestzahl der ernannten jVIitgUeder
wirdverhindert,daß dieRegierung die Stärke derParteiendurchverhältnismäßigzahl-
reicheBerufungenindasHerrenhaus (sogenanntePairsschübe) erheblich verschiebe.
Durch seine Zusammensetzung, durch die Interessen und Anschauungen seiner
Mitglieder bildet das Hen-enhaus ein aristoki*atisches Gegenge\\icht gegen das
Abgeordnetenhaus, Dasselbe besteht seit der Wahlreformvom 26. Jänner
1907 aus 516 aus allgemeinen Volkswahlen hervorgehenden Mitgliedern und ist
daher demokratischer gestimmt wie das Herrenhaus. Auch Mitglieder des Herren-
hauses hönnen dem Abgeordnetenhause angehören; doch ruht während dieser Zeit
die Mitgliedschaft im Herrenhause. Die Wahlordnung und Wahlkreiseinteilung für
das Abgeordnetenhauswd später unter 5 besprochen werden.
Die beiden Häuser des Reichsrates sind einander grundsätzlich gleichgestellt,
Gresetzgebung und Genehmigung von Verwaltungsakten setzen gleichlautende Be-
schlüsse beider Häuser voraus^); aber jedes Haus verhandelt und beschließt für
sich, übt die Verwaltungskontrolle selbständig aus und regelt seine inneren An-
gelegenheiten allein. Politisch hat das Abgeordnetenhaus das Überge^vicht ; die
Fühlung mit der Wählerschaft und die Erneuerung durch Wahlen bringen es mit
sich,daß diealteVorstellung, alswäre geradedasAbgeordnetenhaus die„Vertretung"'
des Volkes, die politische Phantasie beherrscht, sowenig sieauch juristischbegründet
ist. Dieser Vorstellung kommt überdies die Bestimmung der Verfassung entgegen,
daßFinanzgesetz, Relvrutenkontingent, Not-undAusnahmsverordnungenzuvörderst
dem Abgeordnetenhause vorzulegen seien, während es im übrigen der Regierung
freisteht, ilire Vorlagen zuerst in dem einen oder dem andern Hause einzubringen.
Aber auch jedem der beiden Häuser steht die Initiative zur Gesetzesgebung zu.
Der Reichsratwd vom Kaiser alljährlich, womögUch in den Wintermonaten
einberufen. DieLegislaturperioden schließensich an die sechsjährigenWahlperioden
desAbgeordnetenhauses an. Sie werden aufGrund kaiserlichen Befehls durch Ver-
tagung oder Schließung unterbrochen und durch die Auflösung des Abgeordneten-
hauses oder den Ablauf der Wahlperiode beendet. Die Schließung der Session—
nicht auch die Vertagung— bewirkt, daß aUe noch nicht erledigten Geschäfte in
der neuen Session von neuem angefangen werden müssen.
Die Tätigkeit beider Häuser des Reichsrates wird durch ihre Geschäfts-
ordnungen geregelt, die sie innerhalb eines gesetzlich gezogenen Rahmens
selbst beschlossen haben. Nur das wichtigste hieraus kann hier erwähnt werden.
Jedes Haus wählt seine Funktionäre, Präsidium und Bureau — nur das
Präsidium des Herrenhauses wird vom Kaiser ernannt— bestimmt den Gang der
Geschäfte und übt, zunächst durch den Präsidenten, in gewissen Hinsichten aber
- auch unmittelbar Sitzungspolizeiund Disziplinargewalt über seine Angehörigen aus.
Das Abgeordnetenhaus entscheidet selbst über die Gültigkeit der Walilen (Agnos-
zierung). Bis zur Entscheidung haben die Gewählten Sitz und Stünme auf Grund
des vom Landeschef ihres Wahlkreises ausgestellten Wahlzertifikats.
^)Ende 1910 zählte dasHerrenhaus des österreichischen Reichsrats 285 Mitglieder, darunter
16 Erzherzoge, 18 Erz- und Fürstbischöfe, 85 erbliche und 165 lebenslängliche Mitglieder.
— *) Nur beim Finanzgesetz und beim Rekrutenkontingente gilt die geringere Ziffer als be-
willigt, wenn sich trotz wiederholter Beratung keine Übereinstimmung erzielen ließ.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918