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132 XXVII. Die Glaubensfreiheit
sind, daß Religionslehre, Gottesdienst, Verfassung und Benennung weder gesetz-
widrig noch sittlich anstößig seien und daß die Errichtung und der Bestand
wenigstens einer Kultusgemeinde gesichert sei. Treffen diese Voraussetzungen
zu, so kann die staatliche Anerkennung nicht versagt werden. In dem gleichen
Gesetze werden auch die Grundzüge für die Organisation der anzuerkennenden
Religionsgesellschaften und die Stellung des Staates zu ihrer Gerichtsbarkeit,
zur Kirchenzucht und zur Gottesdienstverwaltung vorgezeichnet^).
Darüber hinaus ist die Stellung des Staates zu dengi'oßen historischen Kirchen,
zur römisch-katholischen, griechisch-orientalischen und evangelischen Kirche,
ferner zur israelitischen Religionsgesellschaft durch Sondergesetze geregelt worden,
welche das Ergebnis einer weit zurückreichenden geschichtlichen Entwickelung
sind. Die katholische und die griechisch-orientalische Kirche haben dadurch eine
besondere Rechtsstellung erlangt, durch die sie vor den anderen Religionsgesell-
schaften privilegiert erscheinen, zugleich aber auch stärkerem staathchen Einfluß
unterworfen sind. Die Verfassung der evangelischen Kirche^) beruht auf der kon-
sequenten Durchführung des Gemeindeprinzips. Das staatliche Oberaufsichts-
recht beruht in Österreich nicht auf der kirchlichen, sondern auf der staatlichen
Stellung des Monarchen. Die israelitische Religionsgesellschaft^) besitzt keine
Gesamtverfassung; ihre Organisation, die 1890 neu geregelt wurde, erhebt sich nicht
über die einzelnen Kultusgemeinden.
Der Schutz, den der Staat den gesetzlich anerkannten Reügionsgesellschaften
angcdeihen läßt, ist zunächst ein Rechtsschutz. Dir Gottesdienst, ihre Lehren,
Einrichtungen und Gebräuche sind strafrechtlich geschützt, die kirchlichen
Institute: die Anstalten und Körperschaften, Stiftungen und Fonde als
rechtsfähig anerkannt. Nicht nur, daß ihre Rechte durch die Gerichte
^) In Österreich bestehen als gesetzlich anerkannte Religionsgesellschaften: die katholische
Kirche in drei Riten, die evangelische des Augsburger und des Helvetischen Bekenntnisses, die
griechisch-orientalische Kirche, die israelitische Religionsgesellschaft, diealtkatholische Kirche, die
evangelischeBrüderkirche und die ReligionsgeseUschaften der Lippowaner und der orientalischen
Armenier. Die Stärke der wichtigsten Religionsgesellschaften erhellt aus der Tabelle 6
des Anhanges. Sie sind auch in politischer Hinsicht von Wichtigkeit, weil das Glaubens-
bekenntnis in vielen Fragen der Politik mitspielt und daher auch die Parteibildung
und die politische Haltung der Wähler und Gewählten beeinflußt. Trotz der formellen Gleich-
stellung der Bekenntnisse wirkt daher die konfessionelle Zusammensetzung des Staatsvolkes
auf die Gesetzgebung undVerwaltung in solchen Dingen zurück, für welche Glaubensangehörigkeit
und kirchliche Stellung der Staatsbürger von Belang sind. In diesem Sinne kann man von christ-
lichen Staaten und von Österreich insbesondere als einem katholischen Staat sprechen. Nicht
als ob der Staat selbst die Lehren und Forderungen der Religion verwirklichen könnte ; aber seine
Rechtsordnung und Haltung muß mit dem sittlichen Empfinden des Staatsvolkes über-
einstimmen und hängt daher mit diesem auch von dessen Glaubensangehörigkeit ab.—
*) Erst durch das Toleranzpatent Kaiser Josefs II. vom 13. Oktober 1781 wurde
den Protestanten und Griechisch-Orientalischen private Religionsausübung, die Errichtung von
Bethäusern und Schulen, Anstellung von Seelsorgern, Lehrern usw. allenthalben gestattet;
doch waren den Protestanten in einzelnen Gebietsteilen schon früher Rechte gewährleistet; den
Griechisch-Orientalischen stand in der Bukowina die öffentliche Religionsübung schon nach dem
Abtretungsvertrage zu.— '} Die den Juden früher auferlegten Beschränkungen sind 1849 be-
seitigt, nach Aufhebung der Verfassung von 1849 jedoch zum Teil wieder hergestellt worden.
Vollständig sind sie erst durch die Verfassung von 1867 behoben worden.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918