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XXVIII. Die Freiheit der wissenschaftlichenForschurtg und Lehre. 133
und Behörden nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen zu schützen
sind, so kommt ihnen auch eine besondere Fürsorge des Staates zustatten,
die in dem öffentlichen Interesse an dem Bestände und der Wirksamkeit
dieser Institute begründet ist. Hieher gehört auch die sogenannte fiskalische
Vertretung und die Eintreibung der Kultusbeiträge durch die politische Exekution.
Aber auch in wtschaftlicher Hinsicht werden die Religionsgesellschaften durch
den Staat unterstützt, so z. B. dadurch, daß der Staat für die Ergänzung der
Kongrua aufkommt. Auch gehören die Kosten des Religionsunterrichtes an den
Lehrerbildungsanstalten und Mittelschulen, sowie an den höheren Klassen einer
mehr als dreiklassigen Volksschule und an Bürgerschulen in der Regel mit zum
Aufwände der betreffenden Schulen, fallen also nicht den beteiligten Religions-
gesellschaften zur Last.
XXVIII. Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre.
„DieWissenschaftund ihreLehre istfrei."DurchdiesenSatzderösterreichischen
Verfassung wkd zunächst die Freiheit der wissenschaftlichenF o r s ch un
gewährleistet. Nicht unverrückbareLehrsätze, sondern nur das Erkenntnisvermögen
und das Gewissen der Forscher ziehen ihr Schranken. Freie Forschung ist die Vor-
aussetzung wissenschaftücher Erkenntnis. An und für sich ein hohes Gut, fördert
sie auch den moralischenund wii'tschaftlichen Fortschritt der menschhchen Gesell-
schaft. Aus der Freiheit der Lehre folgt, daß jeder Staatsbürger, der seine Be-
fähigung dazu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat, Unterrichts-und Erziehungs-
anstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen berechtigt ist. Für den
Religionsunterricht in der Schule ist von der betreffenden Kirche oder Religions-
geseUschaft Sorge zu tragen. Die Unterrichtshoheit, das Recht der
obersten Leitung und Aufsicht des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens,
hat sich der Staat vorbehalten. Er stellt die Lehrpläne für die unterenund mittleren
Schulen auf und regelt auch den Studiengang und das Prüfungswesen der Hoch-
schulen, soweit es sich um die Befähigung zum öffentlichen Dienste oder zur Aus-
übung gewisser freier Berufe handelt, die im allgemeinen Interesse staatlich geregelt
sind; man denke nur an die Ärzte, Advokaten usw. Daraus ergibt sich eine sehr
belangreiche Einscliränkung der theoretisch verkündeten Lehr- und Lernfreiheit.
In weiterer Durchführung der durch die Verfassung aufgestellten Grund-
sätze ist das grundsätzliche Verhältnis der Schule zur Kirche
durch das Gesetz vom 25. Mai 1868, RGBl. Nr. 48, im Sinne der staat-
Hchen Unterrichtshoheit und die Gleichberechtigung aller staatlich anerkannten
Religionsgesellschaften geregelt worden. Darnach sind die öffenthchen Schulen
interkonfessionelle oder Simultanschulen: sie sind Schülern aller Rehgionsbekennt-
nisse zugänglich ; imLehramtekannjedermann, der die Befähigung hierzu in gesetz-
licher Weise nachgewiesen hat, angestellt werden^), die Unterrichtsfonde sind ohne
Rücksicht auf das Glaubensbekenntnis der Beteiligten zu verwenden. Den Schul-
betrieb und Unterricht entzieht jenes Gesetz dem kirchlichen Einflüsse. Aber
die Volks- und Mittelschulen Österreichs sind nicht etwa in dem Sinne konfessions-
los, als ob der Religionsunterricht ausgeschlossen wäre; er nimmt seine Stelle hn
*) Jedoch müssen die Leiter der Volksschulen demjenigen Glaubensbekenntnisse angehören,
das der Mehrzahl der Schüler nach dem fünfjährigen Durchschnitte entspricht.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918