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134 XXIX. Die Freiheit der Meinungsäußerung.
Lehrplan ein und wird von den betreffenden Religionsgesellschaften, in den höher
ausgestalteten Schulen auf öffentliche Kosten, besorgt. Konfessionelle Schulen
sind als Privatschulen zugelassen. Im übrigen gehört die Ordnung des Unterrichts-
wesens dem Verwaltungsrechte an und wird daher im siebenten Teile dieses
Buches (XLI. Kapitel) kurz dargestellt werden.
XXIX. Die Freiheit der Meinungsäußerung.
Ohne die Freiheit der Meinungsäußerung wäre die geistige Freiheit unvoll-
ständig. Es handelt sich nicht nur darum, unbeirrt die eigene Meinung bilden,
sondern auch die Meinung anderer durch Darlegung der eigenen beeinflussen zu
können. Nur so können religiöse und ethische Überzeugungen, wissenschaftliche
Erkenntnisse und praktische Bestrebungen verbreitet, Forschungsergebnisse zum
Gemeingut, die von weitschauendenMännern gesteckten Ziele durch gesellschaft-
lichen Zusammenschluß verwirklicht werden. Erst ausdem Kampfe der Meinungen
blitzt die Wahrheit heraus. Die offene Erörterung der Angelegenheiten des öffent-
lichen Lebens ermöglicht die Bildung einer öffentlichen Meinun g^),
den Zusammenschluß Gleichgesinnter zu Parteien, die Auslese ilirer Führer, den
Kampf der Parteien um die Gleichgültigen und Schwankenden und eben
dadurch jene politische Aufklärung, welche die Voraussetzung für die Beteiligung
der Staatsbürger an Gesetzgebung und Verwaltung bildet. Konstitutionalismus
und Selbstverwaltung bleiben ohne eine freie Bildung der öffentlichen Meinung
unwirksam. Die Verfassung stellt daher den Grundsatz auf: „Jedermann hat das
Recht, durch Wort, Schi-ift, Druck oder durch bildliche Darstellung seineMeinung
innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern." Dem Mißbrauch dieses
Rechtes wehrt das Strafgesetz. Allein der Gewissenhafte wird sich engere Grenzen
ziehen. Er wird im Kampfe der Meinungen die schuldige Rücksicht aufden Gegner
nicht vergessen; er wird durch das Gewicht der Gründe zu wirken suchen und es
verschmähen, die Menge durch Scheingründe oder Übertreibungen zu gewinnen.
Verächtlich vollends ist es, gegen besseres Wissen für eine unrechte Sache ein-
zutreten. Je größer die Macht des Wortes, desto größer ist auch die moralische
Verantwortlichkeit.
Als eines derwirksamsten Mittel zurBüdungund Beeinflussung der öffentlichen
Meinung hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Presse entwickelt. P r e ß-
f r e ih e i t ist die politisch wirksamste Form freier Meinungsäußerung. Sie gehört
daher mit zu den freiheitlichen Forderungen, die beim Übergange zum Kon-
stitutionalismus aufgestellt worden sind. Die österreichische Verfassung gewähr-
leistet sie, indem sie jene Maßnahmen untersagt, durch welche die Polizeiherrschaft
die Wirksamkeit der Presse verhindert oder doch erschwert hat: „Die Presse
darf weder unter Zensur gestellt, noch durch ein Konzessionssystem beschränkt
werden. Administrative Postverbote finden auf inländische Druckschriften keine
Anwendung."
Das österreichische Preßgesetz, das aus dem Jahre 1862 stammt und durch
eine Reihe von späteren Gesetzen fortgebildet worden ist, verwirklicht diese Grund-
sätze zunächst dadurch, daß es die Präventivzensur durch Repressivmaßnahmen
ersetzt. Die Herausgabe einer Druckschrift hängt nicht von der polizeilichen
^) Vergl. F. von Holtzendorff, Die öffentliche Meinung. München 1880.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918