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144 XXXIII
. Die richterliche Gewalt u. s. w.
Staate zu^). Daher bestimmt das Staatsgrundgesetz über die richterliche Ge-
walt: „Alle Gerichtsbarkeit im Staate wird im Namen des Kaisers ausgeübt. Die
Urteüe und Erkenntnisse werden im Namen des Kaisers ausgefertigt^)."
Wenn die Verfassung im Anschlüsse an die Lehre von der Teilung der Ge-
walten^) von einer besonderen richterlichen Gewalt spricht, so ist das
nach moderner Auffassung dahin zu deuten, daß die richterliche Gewalt keine
andere als die Staatsgewalt ist, verwendet zur Aufrechthaltung der Rechtsordnung.
Die Grundsätze, welche die Verfassung hierüber aufstellt, bezwecken die Sicher-
heit und Unabhängigkeit der Rechtsprechnug. Daher werden Organisation und
Kompetenz der Gerichte durch Gesetze geregelt.
Um die Unabhängigkeit der Gerichte in persönlicher Hinsicht zu
sichern, ordnet das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt an, daß die
RechtspflegevonderVerwaltung in allen Instanzen zu trennen ist^), daß die Richter
definitiv und auf Lebensdauer ernannt werden und in Ausübung ihres richter-
lichen Amtes selbständig und unabhängig sind. Nur in den vom Gesetze vorge-
sehenen Fällen und auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses dürfen
sie ihres Amtes entsetzt werden (Inamovilität der Richter)^). Andererseits
können der Staat oder dessen richterliche Beamtewegen der von den letzteren in
Ausübung ihrer amtlichen Wirksamkeit verursachten Rechtsverletzungen außer
den im gerichtlichen Verfahren vorgezeichneten Rechtsmitteln auch mittels Klage
belangt werden (sogenannter Syndil^atsprozeß)^). Für den Ersatz des Schadens
haftet neben dem schuldtragenden richterlichen Beamten der Staat als Bürge
und Zahler.
Die sachliche Unabhängigkeit der Gerichte beruht darauf, daß sie bei
ihren Entscheidungen lediglich an das Gesetzgebunden sind. Die Gültigkeit gehörig
kundgemachter Gesetze zu prüfen, steht ihnen nicht zu; hingegen entscheiden
^) Mit diesem Grundsatze unvereinbar ist die sogenannte Patrimonialjustiz, die
Rechtspflege durch die Grundherrschaften, wie sie bis zum Jahre 1849 bestand. Hinsichtlich
der inneren Angelegenheiten der einzelnen ReligionsgeseUschaften besteht nach Maßgabe
ihres eigenen Rechtes eine kirchliche Gerichtsbarkeit; es darf aber bei der
Handhabung der kirchlichen Amtsgewalt kein äußerer Zwang ausgeübt werden. Rechtsstreitig-
keiten können auch durch Schiedsgerichte entschieden werden, die in der Regel auf einem
Vertrage der Parteien beruhen. Für gewisse Ansprüche, so insbesondere für die Ansprüche der
Versicherten gegen die Träger der Sozialversicherung (vergl. das XLVI. Kapitel unter 3) sind
Schiedsgerichte durch das Gesetz angeordnet. An den Börsen bestehen Börsenschiedsgerichte.
Auch können die Ortsgemeinden Vermittlungsämter errichten, vor denen wirksame Vergleiche in
gewissen Streitigkeiten abgeschlossen werden können.—^ ^) Von der Rechtspflege verschieden
ist die Justizverwaltung; sie hat für den durch die Rechtspflege verursachten Per-
sonal- und Sachbedarf zu sorgen und die Aufsicht über die Gerichte auszuüben. Ihre Organe
sind hauptsächlich das Justizministerium und die Gerichtspräsidenten. — ') Vergl. S. 30.
— *) Gewisse Privatrechtsstreitigkeiten sind allerdings nicht den ordentlichen Gerichten,
sondern den Verwaltungsbehörden zur Entscheidung zugewiesen. Doch ist diese nicht endgültig,
indem es den dadurch in ihren Privatrechten Benachteiligten freisteht, Abhilfe gegen die andere
Partei im ordentlichen Rechtswege zu suchen. — *) Wer unschuldigerweise strafgerichtlich
verurteilt worden ist, hat gegen den Staat einen Anspruch auf angemessene Entschädigung für
die durch die Verurteilung erlittenen Vermögensnachteile, wenn die Unschuld bei der Wieder-
aufnahme des Strafverfahrens zutage kommt. — •) Gesetz vom 21. Mai 1868, betreffend die
Disziplinarbehandlung richterlicher Beamter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine
andere Stelle oder in den Ruhestand.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918