Page - 147 - in Österreichische Bürgerkunde
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XXXIV. PrivairecM und Zivilprozeß. 147
Instanz besteht, wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gefördert. Je höher
die Instanz, desto stärker sind die zur Entscheidung berufenen Senate besetzt^)^).
Sämtliche Gerichte zerfallen je nach den zu entscheidenden Angelegenheiten
in mehrere Abteilungen. Wo nicht eigene Handels- oder Seegerichte bestehen^),
fungieren die Kreis- und Landesgerichte unter Zuziehung von Laienrichtern,
aus dem Handelsstande zugleich als Handelsgerichte, gewisse Kreisgerichte auch
als Berggerichte.
Die Einheit der Gerichtsorganisation wird durchbrochen durch die G e-
werbegerichte, die zur Austragung von gewerblichen Rechtsstreitigkeiten
zwischen gewerblichen Unternehmern und Arbeitern, dann zwischen Arbeitern
desselben Betriebes untereinander bestellt sind und zugleich als Vergleichsbehörden
dienen. Sie bestehen aus einem richterhchen Beamten als Vorsitzenden und Laien-
beisitzern, die zur Hälfte von den Unternehmern, zur Hälfte von den Arbeitern
gewählt werden. Der Rechtszug geht an die Landes- und Kreisgerichte, die zu
ihrer Verhandlung zwei gewerbliche Beisitzer zuziehen. Obligatorisch sind die
Gewerbegerichte bloß für einige der größten Industriestädte. In anderen Orten
können sie auf Antrag errichtet werden. Am Schlüsse des Jahres 1910 bestanden
in ganz Österreich 20 Gewerbegerichte.
XXXIV. Privatrecht und Zivilprozeß.
Wie bereits im vorigen Kapitel bemerkt wurde*), steht den ordentlichen
Gerichten sowohl die Zivü- als auch die Strafgerichtsbarkeit zu. Die eine wie die
andere hat ihre eigenen materiellenRechtsgrundlagen und besondere Vorschriften
für den Vorgang bei der Gewährung des Rechtsschutzes. Das hierauf gerichtete,
rechtlich geregelteVerfahren nennt mandenProzeß, denInbegriff derRegeln, die es
leiten, das Prozeßrecht. Jenachdem es sich um den Schutz von Privatrechten oder
die Durchsetzung des Strafanspruches des Staates (oder des in gewissenFäUen zu-
gelassenen Privatklägers) handelt, unterscheidet man Zivil- und Strafprozeß,
demnach auch Zivil- und Strafprozeßrecht. In diesem Kapitel sollen das Privat-
recht und der Zivilprozeß, in dem nächstfolgenden das Strafrecht und der Straf-
prozeß in aller Kürze besprochen werden.
Durch das P r iV a t r e ch t werden die Vermögens- und Familienverhältnisse
geordnet. Auf ihnen beruht die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung; sie sind
daher auch bestimmend für den Aufbau des Staates und die Kultur des Volkes.
Daher stehen die Einrichtungen der Ehe, der Famüie und die Rechtsbegriffe
über das Eigentum ebenso wie die anderen Grundlagen des Staatslebens unter
strafrechtlichem Schutze; wer sie herabwürdigt oder zu erschüttern versucht,
macht sich eines Vergehens schuldig.
Die Grundlage des österreichischen Privatrechtes bildet „das allgemeine
bürgerliche Gesetzbuc h". Als der Abschluß einer langen Rechts-
^) Eine statistische Übersicht über die gerichtliche Einteilung des Staatsgebiets ist in der
Tabelle 1 des Anhanges enthalten. — *) Im osmanischen Reich sowie in einigen andern orien-
talischenLändern wird die Zivil-und Strafgerichtsbarkeit über die österreichischen und ungarischen
Staatsangehörigen und die Schutzgenossen durch die k. u. k. Konsularämter in ihrer Eigenschaft
als Konsulargerichte ausgeübt. Als zweite und letzte Instanz fungiert das Konsularobergericht
in Konstantinopel. — ') Das ist nur in Wien, Prag und Triest der Fall. — *) Vergl. oben
S. 145.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918