Page - 156 - in Österreichische Bürgerkunde
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156 XXXVI, Das Venüaltungsverfahren und die Verwaltungsgerichtsharkeit.
Folge gegeben worden ist. Die Entscheidung über Schuld und Strafe fällt in der
öffentlichen^) und mündlichen Hauptverhandlung. Hier wkd durch das Zu-
sammenwirken der Parteien mit dem Gerichte der Tatbestand möglichst klar-
gestellt, wobei dem Richter weitgehende Befugnisse nicht nur zur Leitung der
Verhandlung, sondern auch zur Ermittelung der Wahrheit gegeben sind. Ohne
an Beweisregeln gebunden zu sein, fällt das Gericht sein Urteil unter dem un-
mittelbaren Eindrucke der Verhandlung. In Schwurgerichtsverhandlungen ent-
scheiden die Geschworenen nur über die Schuldfrage und darüber, ob gewisse,
eine Änderung des Strafsatzes oder der Strafart begründende Erschwerungs- oder
Müderungsumstände vorhanden sind^). Die Folgerungen daraus zieht dann der
mit rechtsgelehrten Richtern dauernd besetzte Gerichtshof durch Freispruch odef
Bemessung der Strafe^). Darin, daß Männer aus dem Volke als Geschworene über
die Schuldfrage entscheiden, wird eine weitere Gewähr für die Unabhängigkeit
der Rechtsprechung und für die Übereinstimmung derselben mit dem naiven
Rechtsgefühl des Volkes gesucht. Über die nicht vor die Geschworenen ver-
wiesenen Verbrechen und Vergehen entscheidet der Gerichtshof erster Instanz,
über Übertretungen der Einzelrichter des Bezu-ksgerichtes in einem vereinfachten
Verfahren.
Das Standrecht bringt ein beschleunigtes Verfahren mit sich, in welchem
das gefällte Strafurteü, bei Verurteilung regelmäßig auf Todesstrafe, ohne Zu-
lassung von Rechtsmitteln sofort vollzogen wird. Es kann verhängt werden in
FäUen des Aufruhrs oder wenn Mord, Raub, Brandlegung oder verbrecherische
Beschädigung fremden Eigentums sich in gefährlicher Weise häufen. Zuständig
wird dann ausschließlich der Gerichtshof erster Instanz.
XXXVI. Das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungs-
gerichtsbarkeit.
Das dritte Gebiet der Rechtsprechung ist die öffentliche Verwaltung. Die
verfassungsrechtliche Grundlage für die Amtsgewalt der Behörden bUdet das
Staatsgrundgesetz über die Regierungs- und Vollzugsgewalt. Darnach sind die
Staatsbehörden innerhalb ihres amtlichen Wirkungslaeises befugt, auf Grund
der Gesetze Verordnungen zu erlassen und Befehle zu erteüen und sowohl die Be-
obachtung dieser letzteren als der gesetzlichen Anordnungen selbst gegenüber
den hiezu Verpflichteten zu erzwingen. Aber nicht die ganze Verwaltung setzt
obrigkeitliche Gewalt voraus. Neben obrigkeitlichen Maßnahmen besteht sie auch
in privatrechtlichen Geschäften und tatsächlichen Verrichtungen zur Durch-
führung der Verwaltungsaufgaben. Das Vorgehen der Verwaltungsbehörden, das
Verwaltungsverfahren, ist, wenn auch nicht einheitlich und in einer
^) Aus Gründen der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung kann die Öffentlichkeit aus-
gescldossen werden.— *) Die Geschworenengerichte können für ein bestimmtes Gebiet gänzlich
oder hinsichtlich gewisser strafbarer Handlungen eingestellt Werden, wenn dies erforderlich ist,
um eine unparteiische und unabhängige Rechtsprechung zu sichern. Vergl. oben S.. 142. —
') Anders im Schöffengericht, welches rechtsgelehrte Richter und Laienrichter
aus dem Volke zur Entscheidung über Schuld und Strafe in einem einheitlichen Kollegium vereint.
Seine Einführung in Österreich wird in Verbindung mit der Einschräukimg der Geschworenen-
gerichte anläßlich der Vorbereitungen zur Reform der Strafprozeßordnung erwogen.
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book Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918