Page - 157 - in Österreichische Bürgerkunde
Image of the Page - 157 -
Text of the Page - 157 -
XXXVI. Das VerwaÜungsverfahrenund die VerwaltungsgericJitsharkeü. 157
den Bedürfnissen derGegenwart durchaus entsprechendenWeise rechtlich geregelt.
Es wird von dem Offizialprinzip beherrscht : die Behörden haben von
Amtswegenzuhandeln; auchwenn ihreTätigkeit durch dasGesucheinerPartei ver-
anlaßt ist, liegt es an ihnen, den Sachverhalt aufzuhellen und den Gang der Ver-
handlung zu bestimmen. In formeller Hinsicht lassen sich die obrigkeitlichen Ver-
waltungshandlungen in drei Gruppen einteilen : Durch Entscheidungen
wird— ebenso wie beimgerichtlichen Urteil— ein allgemeiner Rechtssatz auf einen
bestimmten Fall angewendet ; die V e r f ü g u n g gewährt oder entzieht Rechte,
legt Gebote oder Verbote auf, um gewisse Verwaltungszwecke zu verwirklichen;
die Beurkundung beglaubigt Tatsachen, die rechtlich von Belang sind,
durcheinAmtszeugnis. Die Entscheidung spricht nur aus, was nach den bestehen-
den Vorschriften rechtens ist : sie whkt deklaratorisch. Die Verfügung begründet,
verändert oder beendet Rechte: sie wirkt konstitutiv. Der Inhalt der Entscheidung
ist rechtlich gebunden; bei der Verfügung ist dem sachgemäßen Ermessen der
Behörden ein freierer Spielraum gewährt. Wer sich durch eine Entscheidung oder
Verfügung in seinem Rechte verletzt fühlt, kann innerhalb gewisser Fristen durch
den Rekurs ihre Überprüfung durch die übergeordnete Behörde bewirken. Die
Befolgung obrigkeitlicher Befehle wird nötigenfalls durch die sogenannte politische
Exekution (politisch im Gegensatze zur gerichtlichen) erzwungen.
Es entspricht dem Gedanken des Rechtsstaates, daß die Beziehungen
des Einzelnen zur Staatsgewalt rechtlich geregelt und unter richterlichen Schutz
gestellt seien. Dadurch werden die Befugnisse, welche die öffentliche Rechts-
ordnung den Untertanen zuerkannt, zu subjektiven Rechten derselben. Ihr Schutz
ist die Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Forderung
des doktrinären Liberalismus, diesen Schutz den ordentlichen Gerichten anzu-
vertrauen, wurde bald als undurchführbar erkannt. Dafür wurden besondere
Verwaltungsgerichte geschaffen. In den deutschen Bundesstaaten sind sie nach
Instanzen gegliedert und sind die mittleren und unteren Instanzen mit den Ver-
waltungsbehörden vereinigt. In Österreich spielt sich die ordentliche Recht-
sprechung auf dem Gebiete des Verwaltungsrechtes gänzlich innerhalb des Organis-
mus der Verwaltung ab, indem die oberen Instanzen im Rekurswege die Ent-
scheidungen der Unterbehörden überprüfen, sie bei wesentlichen Formgebrechen
kassieren, sonst bestätigen oder abändern. Hiebei fehlt es aber an den Garantien
richterlicher Unabhängigkeit und Unbefangenheit. Daher tritt noch eine außer-
ordentliche Rechtshilfe durch eigentliche Gerichtshöfe, durch den Verwaltungs-
gerichtshof, in gewissen Fällen durch das Reichsgericht, ein.
Der Verwaltungsgerichtshof ist, soweit nicht die ordentlichen
Gerichte oder das Reichsgericht kompetent sind, berufen darüber zu entscheiden,
ob jemand durch eine Entscheidung oder Verfügung einer (staatlichen oder auto-
nomen) Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt worden ist. Ge\Ndsse An-
gelegenheiten sind im Hinblicke auf das staatsrechtliche Verhältnis zu Ungarn,
auf die Rücksichten des öffentlichen Dienstverhältnisses oder weil der Rechts-
schutz anderweitig gesichert ist, vonseiner Kompetenz ausgeschlossen. Insbesondere
entscheidet der Verwaltungsgerichtshof nicht über solche Angelegenheiten, in
denen und insoweit die Verwaltungsbehörde nach freiem Ermessen vorzugehen
berechtigt ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann erst dann angerufen werden,
back to the
book Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918