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164 XXXVIII. Die auswärtigen Angelegenheiten.
sammen. Darin liegt eine ernste Mahnung für alle politischen Parteien, über ihren
Streitpunkten die wichtigen auswärtigen Interessen nicht zu übersehen, die sie
durch innere Zwietracht gefährden. Denn nochmals: Auswärtige Interessen sind
nichts anderes als die im Auslande gelegenen Bedingungen innerer Wohlfahrt,
sei es der Gegenwart oder der Zukunft.
Während die erste Gruppe völkerrechtlicher Abmachungen den Machtbereich
der Staaten betrifft, trägt die zweite Sorge für ihre Solidarinteressen auf dem
Gebiete der Kultur und der Wohlfahrt. Sowohl die Rechtspflege als
auch die Verwaltung der einzelnen Staaten stoßen auf Aufgaben, die sie für sich
allein nicht erfüllen können, bei denen sie auf die Mitwirkung anderer Staaten an-
gewiesen sind und demnach auch auf deren Anliegen Rücksicht nehmen müssen. In
der ersteren Hinsicht tritt dem Völkerrecht eininternationalesPrivat-
recht und Strafrecht zur Seite. Es bestimmt, welches örtliche Recht an-
gewendet werden soll, wenn die Rechtssätze verschiedener Staaten in Betracht
kommen (sogenannte Statutenkollision), und regelt die Rechtshilfe für die Zivil-
und Strafrechtspflege, insbesondere die Auslieferung von Verbrechern.
Die Schranken, welche die Staatsgrenzen der staatlichen Kultur- und Wohl-
fahrtspflege ziehen, werden durch das internationale Verwaltungs-
recht überwunden. Es beruht teils auf Einzelnverträgen mit den beteiligten
Staaten, teils auf Kollektivverträgen, welche eine Mehrzahlvon Staaten, inmancher
Hinsicht sogar sämtliche zivilisierten Staaten zu „Unionen" behufs Wahrnehmung
gleichartiger und solidarischer Interessen zusammenschließen. Solcher Art sind
z. B. der Weltpostverein, der allgemeine Telegraphenverein, die Vereinigungen
fürdasinternationaleEisenbahnfrachtrecht,zum SchutzedesUrheberrechtes,zurBe-
kämpfung gewisser Epidemien u. s. w. Es liegt auf der Hand, daß durch derartige
Verwaltungsbündnisse auch das nationale Verwaltungsrecht der einzelnen Staaten
gleichartiger wkd, wie denn umgekehrt die Gleichartigkeit der nationalen Ver-
waltungseinrichtungen den internationalen Zusammenschluß erleichtert.
Wenden wir uns nach dieser flüchtigen Übersicht über das weite Gebiet der
auswärtigen Angelegenheiten der internationalen Stellung der
österreichisch-ungarischenMonarchie als Mitglied der Völker-
rechtsgemeinschaft zu, so bildet sie in völkerrechtlicher Hinsicht eine Einheit.
Das ergibt sich aus der Gemeinsamkeit des Monarchen, der sie wie in jeder anderen
Hinsicht so auch nach außen hin vertritt, ferner aus der Gemeinsamkeit der
auswärtigen Angelegenheiten, des Kriegswesens, sowie der für die auswärt^ePolitik
maßgebendenInteressen,vorausderHandelsinteressen,denenjaauch dieEinheitlich-
keit des Zollgebietes entspricht^). Hier können wir weder die einzelnen auswärtigen
Angelegenheiten der Monarchie noch die Ziele ihrer auswärtigen Politik besprechen,
sondern nur die Organe, die zu ihrer Wahrnehmung berufen sind, und die
Formen, in denen sie erfolgt.
Die österreichisch-ungarische Monarchie (und damit auch jeder ihrer staats-
rechtlichen Bestandteile) wird völkerrechtlich in jederHinsicht durch den Kaiser
vertreten. Er erklärt Krieg und schließt Frieden, schließt unter den verfassungs-
mäßigen Bedingungen die Staatsverträge ab, entsendet und empfängt die Ge-
sandten, bestimmt die Zielpunkte und Richtlinien der auswärt^en Politik. Die
>) Vergl. das XI. Kapitel, S. 61 und 64i
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918