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XLII. AllgemeineGesichtspunkte der Wirtschafts-undSozialpolüik. 185
erwartet mehr von den Anordnungen der Gesetzgebung und der öffentlichen
Verwaltung sowie von der Ausdehnung der öffentlichen Betriebe. Die christlich-
soziale Richtung katholischer oder protestantischer Färbung betont stärker die
religiös-sittlichen Pflichten, welche der Selbstsucht Schranken ziehen; auch hofft
sie die Solidarität des gesellschaftlichen Lebens durch korporative Verbände
zu kräftigen. Aber diese Richtungen lassen sich in vielen Dingen vereinigen; oft
weichen sie nur in der Motivierung oder AusgestaltungvonMaßnahmen ab, deren
Ziele von allen gebilligt werden.
DieserUmschwung in den Ansichten überden wb-tschafts-und sozialpolitischen
Beruf des Staates hat der Gesetzgebung undVerwaltung neue und große Aufgaben
gestellt.Wirmüssenuns darauf beschränken, die wichtigstenderselben inden nächst-
folgenden Abschnitten kurz anzudeuten. Vorerst sindnoch die Betriebs- und Unter-
nehmungsformen und das gegenseitige Verhältnis der großen Produktionszweige
zu besprechen.
3. Die Betriebs- und Unternehmungsformen.
Was zunächst die Betriebsformen anbelangt, so bringt es die oben geschilderte
Entwickelung der Volkswirtschaft mit sich, daß die darin verflochtenen Unter-
nehmungen an Umfang zumeist zunehmen. Gleichzeitig steigern sie die Inten-
sität ilirer Betriebe, indem sie immer mehr Kapitalien, immer wirksamere
Arbeit einsetzen, um den Betriebserfolg zu erhöhen. Zu dem Gegensatz zwischen
Kapital und Arbeit tritt innerhalb der Schicht der Unternehmer ein neuer Gegen-
satz hinzu : zwischen Groß- und Kleinbetrieb. Die Frage entsteht,
ob und wie sich der kleine und mittlere Betrieb gegen die Konkurrenz des Groß-
betriebes zu behaupten vermag: der Bauer gegen den Großgrundbesitz, das Hand-
werk gegen die Fabrik und die Hausindustrie, deren Absatz die Verlagsgeschäfte
organisiert haben. Daß die kleinen und mittleren Betriebe trotz des raschen Auf-
schwungs der Großbetriebe noch immer lebensfähig sind, bestätigt die landwirt-
schaftliche undgewerbliche Betriebsstatistik. Nicht nur, daß sie ungleichzahh'eicher
sind, sobeschäftigen sie auch die Mehrzahl allerErwerbtätigen^). Es ist vonhöchster
Wichtigkeit, daß die ansehnliche Schicht, die zwischen dem Großkapital und
der Arbeiterschaft steht und neben den Selbständigen auch zahbeiche Angestellte
umfaßt, erhalten und möglichst gekräftigt werde. Den Inbegriff der hierauf ge-
richteten Maßnahmen pflegt man alsMittelstandspolitik zu bezeichnen
sie bildet einen der maßgebenden Gesichtspunkte sowohl der Agrarpolitik als auch
der Gewerbepolitik^).
In einem mittelbaren Zusammenhange mit der Größe der Betriebe stehen
die Unternehmungsformen, die vom Rechte geregelt werden. Darnach
werden die Unternehmungen zunächst eingeteilt in Einzelunternehmun-
gen, gesellschaftliche Unt e rnehmungen und öf f entlic h e
Unternehmungen. Die letzteren werden vom Staate und den Selbst-
verwaltungskörpern betrieben, um gewisse wirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen
und damit auch Einnahmen zu erzielen; vom fiskalischen Standpunkte aus wird
die letztere Absicht stärker betont. Die öffentlichen Betriebe treten in jüngster
1) Vergl. die Anm. 3 auf S. 188 und Anm. 1 auf S. 194. — ') Vergl. J. Wemicke:
„Kapitalismus und Mittelstandspolitik", 1907. „Der Kampf um dea wirtschaftlichen Fort-
schritt", 1910.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918