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190 XLIIL Die Landmrtschaft.
Aus der Zeit der Gutsherrlichkeit waren auch nach der Grundentlastung
mancherlei Überreste: gemeinsame Besitz- und Benützungsverhältnisse, Forst-
und Weidenutzungsrechte, Gemengelage der Grundparzellen geblieben, die im
Interesse der Landeskultur zu beheben oder doch zu regeln waren. Nur die intensiv
genutzten TeUe der Flur (Gärten, Äcker und Wiesen), nicht auch die Extensiv-
kultiu-en (Wälder,Weiden und Alpen) waren freies Gut der Bauern geworden. Die
Nutzungen an diesen Kulturen, die für die bäuerliche Betriebsweise von großer
Wichtigkeit sind, haben entweder dieFormvon Anteilsrechten anagrarischen
Gemeinschaften oder von dinglichen Privatrechten an fremdem Boden,
von Servituten an dem früher herrschaftlichen Besitz, angenommen.
Die agrarischen Gemeinschaften, die sich aus der alten All-
mende entwickelt haben, sind sehr mannigfach^). Die Nutzung ist in der Regel
mit dem Besitz bestimmter Höfe oder Grundstücke verbunden. Dadurch, daß die
neue Gemeindegesetzgebung^) die politische Ortsgemeinde unabhängig von der
agrarischen Wü'tschaftsgemeinschaft lediglich als einen Personenverband auf-
richtete, ist die Klärung und Regelung der vielfach nur auf Herkommen be-
ruhenden Gemeinschaftsverhältnisse nötig geworden. Verschiedene wh'tschafts-
politische Gesichtspunkte wollen hiebei berücksichtigt sein. Die gemeinsamen
Nutzungsrechte halten den wirtschaftlichen Fortschritt auf, indem sie den
Übergang zu intensiverer Kultur verhindern. Andererseits sind sie ein unent-
behrliches Plüfsmittel der bäuerlichen Viehzucht. Durchaus aber ist die Er-
haltung des Gemeindegutes als eines wichtigen Bestandteiles des Gemeindever-
mögens im Interesse des Gemeindehaushaltes geboten. Nicht minder notwendig
war eine Auseinandersetzung zwischen den Bauern und den ehemaligen Herr-
schaften hinsichtlich der Servitutsverhältnisse. Bestand, Inhalt und
Umfang der Servituten waren vieKach ungeklärt und bestritten, was die rationeUe
Bewirtschaftung des belasteten wie des berechtigten Grundstückes behinderte.
Durch das kaiserliche Patentvom 5. Juli 1853 ist die Teüung und Regulierung
•deragrarischen Gemeinschaften, ferner die Ablösungund Regulierungder Servituten
geordnet worden. Die erstere sollte nur über Begehren der Interessenten, die letztere
in der Regel von Amts wegen stattfinden. Der mit diesem Patente angestrebte
Zyveck ist jedoch nur unvollkommen erreicht worden. Die Rechtsverhältnisse der
meisten agrarischen Gemeinschaften blieben ungeklärt. Um die Bewirtschaftung
des Gemeinlandes steht es schlecht; bei der Ablösung und Regulierung der Ser-
vituten sind die bäuerlichen Interessen in der Regel zu kurz gekommen. Daher ist
die ganze Aktion neuerdings aufgenommen worden. Ein Reichsgesetz vom Jahre
1883 will die Teilung oder Regulierung der agrarischen Gemeinschaften besser
in die Wege leiten ; die zu seiner Durchführung erforderlichen Landesgesetze sind
darlehen pfandrechtlich sichergestellt sind. Als ein Mittel, um drückende Hypothekarschulden
abzulösen (sogenannte Bodenentschuldung) und neue Kapitalschulden zu verbieten oder zu be-
grenzen (Verschuldungsgrenze), waren sie in einer Regierungsvorlage an den österreichischen
Heichsrat gedacht, die aber wieder zurückgezogen worden ist. Neuestens ist der Gedanke in
Galizien und in der Bukowina aufgenommen und im Wege der Landesgesetzgebung, wenn auch
in minder weitgreifender Weise, durchgeführt worden. — ^)Vom Rechtsstandpunkte aus werden
sie als Gemeindegut, Ortschaftsgut, Genossenschaftsgut einer Korporation der Nutzungsberech-
tigten oder endlich als Gemeingut einer unorganisiertenGesamtheit vonNutzungsberechtigten(Ge-
tmeinwälder und Gemeinweiden) betrachtet.— *) Vergl. oben S. 109.
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Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918