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XLIV. Das Gewerbe. 197
hindern die Mißbräuche, die sich bei derVerabfolgungvon Bedarfsgegenständen des
Arbeiters auf Rechnung des Lohnes ergeben können (Trucksystem). Die Ver-
wendung von jugendlichen Hilfsarbeitern und von Frauen ist aus hygienischen
Rücksichtenbeschränkt ; dieNachtarbeit derFrauen auf Grund eines internationalen
Übereinkommens verboten. In Fabriken darf die Arbeitsdauer ohne Einrechnung
der Arbeitspausen in der Regel nicht mehr als höchstens 11 Stunden im Tage
betragen (Normalarbeitstag)^). Der formellen Ordnung dienen Arbeitsbücher,
ArbeiterverzeichnisseundArbeitsordnungen. Die Gewerbeordnung istauch bestrebt,
den sittlichen Gehalt der gewerblichen Arbeit zur Geltung zu bringen und ins-
besondere das Lehrverhältnis ersprießlich zu gestalten.
DieDurchführung derBestimmungen, welche die Gewerbeordnungim Interesse
derArbeitergetroffenhat,wirddurch dieGewerbeinspektoren überwacht.
Als Vertrauensmänner sowohl der Dienstgeber als auch der Dienstnehmer sollen
die Gewerbeinspektoren die Beziehungen zwischen ihnen verbessern helfen
und bei Konflikten vermittelnd eingi-eifen.
Durch die korporative Organisation in Genossenschaften soll der
Gewerbestand gefestet und gehoben werden. Genossenschaften^) sind unter den-
jenigen zu errichten, welche gleiche oderverwandte Gewerbe in einer oder in nach-
barlichen Gemeinden betreiben ; ausnahmsweise kann der gewerbliche oder örtliche
Kreis, den sie umfassen, weiter gefaßt werden. Die Gewerbeinhaber gehören den
Genossenschaften als Mitglieder, deren Hilfsarbeiter als „Angehörige" an, Fabriks-
betriebe können, müssen aber nicht an den Genossenschaften teilnehmen. Der
Zweck der Genossenschaften besteht in der Pflege des Gemeingeistes, in der Er-
haltung und Hebung der Standesehre sowie in der Förderung der humanitären,
wirtschaftlichen und Bildungsinteressen ihrer Mitglieder und Angehörigen. Sie
sind die Träger der Selbstverwaltung der besonderen gewerblichen Interessen
und als solche auch mit der erforderlichen Disziplinargewalt und dem Umlagen-
rechte ausgerüstet. In diesem Sinne ist ihnen schon dui'ch das Gesetz eine Reihe
vonVerwaltungsaufgabenvorgeschrieben ; weitere Wohlfahrtsziele deutet das Gesetz
an, den Genossenschaften bleibt es jedoch anheimgestellt, sie zu verfolgen.
"Während die Gewerbegenossenschaften den Bedürfnissen des kleineren und
mittleren Gewerbestandes dienen, sind die Handels- und Gewerbe-
kamm e r n dazu berufen, die Interessen des gesamten Handels und Gewerbes
geltend zu machen. Ihre Organisation beruht aufdem Gesetze vom 29. Juni 1868.
Sie geben Anregungen und erstatten Gutachten in allen Handels- und Gewerbe-
angelegenheiten, besonders für die Zwecke der Gesetzgebung, entweder über Auf-
forderung der Regierung oder aus eigenem Antriebe und können zu diesem Zwecke
auch gemeinsam beraten (Handelskammertage und Zentralstelle zur Vorbereitung
der Handelsverträge). Sie haben ferner eine Reihe von Verwaltungsaufgaben,
wieFührung derMarken- undMusterregister, Ausstellung von Ursprungszeugnissen,
ErstattungvonstatistischenBerichten u. s. w. zu besorgenund entsenden Delegierte
in Beiräte und andere Kollegien, deren Aufgabenkreis sich mit dem ihrigen be-
rührt. Ihre Funktion als Wahlkörper für die Landtagswahlen ist bereits früher
^) Die Arbeitszeit jm Handelsgewerbewurde durch das Gesetzvom 14. Jänner 1910 (Laden-
schlußgesetz) beschränkt.— ^) Die Genossenschaften im Sinne der Gewerbeordnung dürfen mit
denauf S. 186 besprochenen Erwerbs-und Wirtschaftsgenossenschaften nicht verwechselt werden.
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book Österreichische Bürgerkunde"
Österreichische Bürgerkunde
- Title
- Österreichische Bürgerkunde
- Author
- Heinrich Rauchberg
- Publisher
- Verlag von F. Tempsky
- Location
- Wien
- Date
- 1911
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 16.4 x 24.0 cm
- Pages
- 278
- Categories
- Geschichte Vor 1918