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Bitterlich | B 323
der „Gartenlaube“ veröffentlicht. Im Frühjahr 1932 wurden die Bilder R. B.s erstmals einer
größeren Öffentlichkeit vorgestellt. Die Ausstellung der Werke der nunmehr zwölfjährigen
Künstlerin findet in Innsbruck statt und erregt einiges Aufsehen, es werden zweitausend
Besucher in zwei Wochen gezählt. 1934 kam es zu einer weiteren Ausstellung in Innsbruck,
die sich eines noch größeren Publikumsinteresses erfreute. Unter anderem finden in dieser
Ausstellung die großen Ölbilder „Gastmahl des Todes“, „Gotische Madonna“, „Die Wahn-
sinnige“ und „Maria Verkündigung“ einige Beachtung. Im August kommt es zu einer dritten
großen Ausstellung in Lienz in Osttirol. 1935 stellt R. B. im Glaspalast des Wiener Burggar-
tens aus. Die Ausstellung wird von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg eröffnet. Das Interesse
an den Bildern des „Wunderkindes“ ist so groß, dass es zu Warteschlangen an der Kassa
kommt, wie den zeitgenössischen Zeitungsartikeln zu entnehmen ist. Ein 1936 von Hans
Bitterlich, dem Vater R.s, im Selbstverlag herausgegebener Katalog verzeichnet bereits 359
Werke der sechzehnjährigen R. 1937 wird eine Komposition des Wiener Komponisten Erich
Zeisl uraufgeführt: das von den phantastischen Visionen der jungen Innsbrucker Malerin
beeinflusste musikalische Werk „Kleine Symphonie, vier Orchesterstücke nach Bildern der
Roswitha Bitterlich“. Vier Bilder R. B.s werden von Erich Zeisl in Töne transformiert: die
Vision des wahnsinnigen Geigers in der Zelle, die düstere Darstellung der „Armen Seelen“,
die bizarre Illustration eines „Leichenschmauses“ und als Finale die „Vertreibung der heiligen
Figuren aus der Kirche“. Der mystisch-bizarre Charakter der Bilder findet, laut Pressebericht,
in dem musikalischen Werk „eine wahrhaft kongeniale Ausdeutung“. Die Neigung R. B.s
zum Geheimnisvollen, die sich in ihren Bildern offenbart, wird in den Ausstellungskritiken
häufig erwähnt, sie beschäftigt sich mit Engeldarstellungen, die wohl von den Visionen ihrer
Mutter, Gabriele Bitterlich, beeinflusst sind. R. gestaltet, jetzt schon als erwachsene Frau,
die Kapelle der Burg St. Petersberg bei Silz in Tirol, den Hauptsitz des von ihrer Mutter
gegründeten „Engelwerkes“ (Opus Angelorum), mit ihren Malereien aus. Doch nicht nur in
Österreich sind R.s Bilder zu sehen, Anfang Mai 1937 wird im Kopenhagener Kunstmuseum
Charlottenburg eine R. B. Ausstellung vom österreichischen Generalkonsul eröffnet. 1941
erscheint ein graphischer Zyklus mit dem Titel „Till Eulenspiegel“ mit Texten von Hans
Leip. Nach dem Zweiten Weltkrieg beeindrucken R. B.s Werke auch das New Yorker Pub-
likum. 1951 werden in der Galerie St. Etienne Ölbilder, Aquarelle und graphische Arbeiten,
die in der Zeit zwischen 1945 und 1950 entstanden sind, gezeigt. Die Kritiker der „New
York Times“ attestieren der österreichischen Malerin eine künstlerische Verwandtschaft mit
Bosch, Brueghel und Dürer, sie bewundern das Talent und die Vorstellungsgabe der Künst-
lerin. R. B. widmet schon seit Jahrzehnten ihr ganzes Talent der malerischen Nachgestaltung
dessen, was ihre Mutter über die heiligen Engel niedergeschrieben hat. Dem Engelwerk gilt
sie als seine authentische künstlerische Interpretin, doch ihre Kunst ist fast ebenso umstritten
wie das Opus Angelorum selbst; sie wird von einigen KritikerInnen und KunsthistorikerIn-
nen in den „Blut- und Boden-Stil“ des Nationalsozialismus eingereiht.
R. B. heiratete 1945 den katholischen Publizisten und NS-Widerstandskämpfer Michael
Brink. 1946 wurde die gemeinsame Tochter Mechthild Maria geboren. 1947 starb Brink an
Spätfolgen der KZ-Gefangenschaft. R. B. wanderte mit ihrem zweiten Ehemann Hubert
Wingen und der Tochter nach Brasilien aus, wo die von Gabriele Bitterlich gegründete
katholische Splittergruppe großen Zulauf hat.
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 1, A – H
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1422
- Category
- Lexika