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Falk | F 773
Falk Gertrud Edith, auch Trude; Psychologin
Geb. Wien, 8. 6. 1911
Gest. London, Großbritannien, 25. 12. 2013
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Berthold Falk (2. 12. 1870 –1942), Geschäftsmann im
Textilvertrieb, der gerne Schach im Wiener Café Central spielte. Mutter: Olga „Ollie“, geb.
Horner (15. 3. 1879 –1942), war eine kultivierte Frau, die sowohl Englisch als auch Deutsch
sprach und als Sängerin des Wiener Staatsopernchors unter Bruno Walter „Das Lied von
der Erde“ aufführte. Beide Eltern waren tschechische Juden und wurden Opfer des Holo-
caust. G. F. hatte viele Tanten und Onkel, deren Schicksale allerdings unbekannt sind. Je-
doch blieb sie in Kontakt mit einer Verwandten, deren Eltern in Wien als U-Boote den
Holocaust überlebten. 2012 stellte überraschenderweise eine Nichte aus Wien den Kontakt
mit G. F. her: es stellte sich heraus, dass Berthold Falk 1918 eine Beziehung zu einem Haus-
mädchen gehabt hatte. Der Sohn (1919–2010), der die Nazizeit überlebt hatte, heiratete und
hatte zwei Töchter. Eine von ihnen (* 1960) besuchte G. F. schließlich in England, nachdem
sie G. F. über das Internet ausfindig gemacht hatte.
LebenspartnerInnen, Kinder: Verheiratet mit Geoffrey Holmes (1918–2008), metallurgi-
scher Chemiker; Stiefsohn: Peter Holmes.
Ausbildungen: Besuchte das Realgymnasium für Mädchen in der Albertgasse in Wien.
G. F. studierte ab 1929 an der Universität Wien Psychologie, schloss das Studium 1934 mit
der Dissertation „Die soziale Geschwistersituation“ bei Charlotte Bühler ab. G. F. sprach
Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und war firm in Latein. In Großbritannien ließ
sie sich später zur Sprachlehrerin ausbilden.
Laufbahn: Vor 1938 hatte Dr. G. F. eine erfolgreiche Karriere als wissenschaftliche Psycho-
login in Wien. Nachdem sie gezwungen war vor den Nazis zu fliehen, praktizierte sie als
Kinderpsychologin in Großbritannien. Beschenkt mit einem bis vor kurzem noch außerge-
wöhnlichen Erinnerungsvermögen, konnte sich G. F. noch erinnern, einst für Kaiser Franz
Josef 1916 gebetet zu haben, obwohl sie später eine entschiedene Sozialistin werden sollte.
Einer ihrer engsten Freunde war Wolf Speiser, Sohn des Vizebürgermeisters Paul Speiser
des Roten Wien zur Zeit des Bürgermeisters Carl Seitz.
Nach ihrer Promotion wurde G. F. Mitarbeiterin Prof. Bühlers für die Studie „Das Kind
und seine Familie“. Sie war auch Assistentin Paul Lazarsfelds, der später ein weltbekannter
US-Psychologe sein sollte. Mit ihm arbeitet sie an einer Marktforschungsstudie für die Fir-
ma von Julius Meinl, warum die WienerInnen keinen Tee trinken würden.
G. F. war auch bekannt mit Prof. Marie Jahoda, zu jener Zeit Ehefrau Lazarsfelds, die später
an der Universität Sussex lehrte.
Als sich jedoch die Wolken über Wien verdunkelten, musste G. F. Wien verlassen. Sie reiste
bereits viel in den 1920er und 30er Jahren und so war ihre Reise nach Großbritannien im
Jahre 1938 nicht die erste. Tragischerweise konnten ihre Eltern ihr nicht folgen, jedoch
sandten sie bis zum Herbst 1941 regelmäßig Briefe an ihre Tochter vom Nazi-Wien. Diese
Briefe sind Dokumente eines Lebens, das trotz aller Bemühungen den Anschein von Nor-
malität zu wahren, zusehends auseinanderfiel. Schließlich überschlugen sich die Ereignisse
und G. F.s Eltern wurden aus ihrer Wohnung in ein Wiener Übergangslager gebracht und
anschließend ins Ghetto in Lodz deportiert. Dort starben sie 1942. G. F. erfuhr von ihrem
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 1, A – H
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1422
- Category
- Lexika