Page - 1872 - in biografiA. - Lexikon österreichischer Frauen, Volume 2, I – O
Image of the Page - 1872 -
Text of the Page - 1872 -
Kurzweil | K 1871
Ausbildungen: Besuch des Lycée Michelet in Montauban.
Laufbahn: A. K.s Vater Bruno Kurzweil war in den 1920er- und 30er-Jahren ein bekannter
Rechtsanwalt und hatte die steirische Sozialdemokratie bzw. Funktionäre der Partei in einer
Reihe spektakulärer Verfahren vertreten – auch nachdem die Sozialdemokratie nach den Fe-
bruarkämpfen 1934 in die Illegalität gedrängt worden war. Unter dem NS-Regime erhielt
A. K.s Vater als jüdischer Rechtsanwalt und auch wegen seiner sozialistischen Überzeugung
im Juni 1938 Berufsverbot. Ab Herbst 1938 durfte A. K. die Schule nicht mehr besuchen. Im
Sommer desselben Jahres flüchtete die Familie Kurzweil nach Paris. Bruno Kurzweil schloss
sich dort der „Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten“ an und verfasste Artikel
für deren Exilzeitschrift. A. K. trat in die Rote-Falken-Gruppe „Freundschaft“ ein, die von
österreichischen Sozialisten im Pariser Exil gegründet worden war. Dort wurde den Flücht-
lingskindern inmitten ihrer schwierigen Lage ein Gemeinschaftsgefühl und die Hoffnung
auf eine bessere (sozialistische) Welt vermittelt. Neben regelmäßigen Treffen mit anderen
Jugendlichen gab es auch die gemeinsame Sommerfrische in einer Jugendherberge in Ples-
sis-Robinson, einem Vorort von Paris. Bei Ausbruch des Krieges im Jahr 1939 kamen die
Kinder direkt von dort in die Kinderheime der OSE, einer vom Wiener sozialdemokratischen
Pädagogen Ernst Papanek geleiteten jüdischen Wohlfahrtsorganisation, nach Montmorency.
A. K.s Vater wurde in das Internierungslager Meslay-du-Maine gebracht. Während A. K. vom
Kinderheim aus ihre Schule besuchte, begann ihr Vater, nachdem er im Februar 1940 aus
der Internierung entlassen worden war, sich intensiv in der österreichischen Exilorganisation
„Zentralvereinigung österreichischer Emigranten“ zu betätigen. Mit dem Sieg der deutschen
Truppen und der Besetzung von Paris sowie Nordfrankreichs setzte eine Fluchtwelle der
Emigrierten ins Vichy-Frankreich ein. Auch die sozialistische Exil
organisation ging auf An-
raten von Léon Blum in den Süden, nach Montauban. Dadurch begingen die Kurzweils, wie
viele andere, den verhängnisvollen Fehler, eine Aufenthaltsgenehmigung für Montauban zu
beantragen und sich damit als Juden registrieren zu lassen. In Montauban besuchte A. K. das
Lycée Michelet. Ihr Vater übernahm die „Agenden der Verlassenschaft“ der österreichischen
Sozialdemokratie in Frankreich. Er organisierte mit Unterstützung aus den USA das Überle-
ben der in Montauban Gebliebenen und verteilte das Geld, das von den bereits nach Amerika
Emigrierten nach Frankreich geschickt wurde. Während Bruno Kurzweil versuchte, Aufent-
haltsbestätigungen für die USA bzw. Mexiko zu bekommen, setzten die Deportationen ein,
die mit Hilfe der französischen Polizei anhand der Listen von Registrierungen erfolgten, die
im Zuge der Fluchtwelle der Emigrierten entstanden waren. Die Familie Kurzweil wurde im
August 1942 den Deutschen ausgeliefert. In der Nacht vom 1./2. September wurde die Fami-
lie nach Drancy und am 9. September mit dem Transport Nr. 30 nach Auschwitz deportiert
und in der Folge ermordet. A. K. starb im Alter von 17 Jahren.
Qu.: Die Dokumente aus den Koffern der Familie Kurzweil sind heute im Musée de la
résistance et de la déportation in Montauban zu sehen. Siehe: http://www.montauban.com/_
Les_musees_de_la_ville/
L.: Dokumentationsarchiv 2004, Ehetreiber/Halbrainer/Ramp 2001, Theisen 2009, http://
www.korso.at/
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 2, I – O
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 2, I – O
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1026
- Category
- Lexika