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Nestor | N 2361
brückengasse), wo sie 1935 die Matura mit Auszeichnung ablegte. Daneben perfektionierte
sie ihre Englisch- und Französischkenntnisse durch Auslandaufenthalte. Anschließend stu-
dierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Wien und legte 1937 und 1938 die ersten
beiden Staatsprüfungen ab. Daneben absolvierte sie die Konsularakademie, an der sie 1937
die Diplomprüfung mit Auszeichnung ablegte (bald darauf wurde die Konsularakademie
von den Nationalsozialisten geschlossen).
Ihrer finanziell bevorzugten Lage sei sie sich bewusst gewesen erzählte J. N.; diese habe
einen Abstand zu ihren Schulkolleginnen geschaffen. Daran und an das Elend vieler Men-
schen in der Zwischenkriegszeit denke sie ungern zurück. Doch 1938 änderte sich auch für
sie schlagartig die Lage: Mit dem „Anschluss“ wurde sie über Nacht zum „Mischling ersten
Grades“ degradiert, daher zur dritten Staatsprüfung „aus rassischen Gründen“ nicht zuge-
lassen und durfte wie oben erwähnt nicht die Ehe mit Walter Nestor schließen. Ihr Vater
musste Vermögensabgabe zahlen, für das Haus „musste ein Verwalter her“ (J. N.). Das Dok-
torat aber durfte sie noch erwerben und promovierte am 11. März 1939. Erst am 9. März
1948 konnte sie die dritte Staatsprüfung nachholen und im November 1952 die Diploma-
tenprüfung ablegen.
Laufbahn: Vom 1. April 1940 bis 8. August 1945 war sie als Sprachlehrerin tätig; 1945 musste
sie als nunmehr alleinerziehende Mutter einen entsprechenden Beruf zu ergreifen suchen und
bewarb sich um eine Anstellung im diplomatischen Dienst. Sie hatte diesen Wunsch schon
früher geäußert, doch ihr Vater hatte mit Recht geantwortet: „Da nehmen sie keine Frauen.“
Auch nun verhielt sich der damalige Außenminister Karl Gruber (ÖVP-Politiker) ablehnend,
obgleich sie alle erforderlichen Kenntnisse und Voraussetzungen erbrachte. Doch der Dritte
Nationalratspräsident und spätere Bundeskanzler Alfons Gorbach (ebenfalls ÖVP-Politi-
ker), der gemeinsam mit ihrem Mann in Dachau gewesen war, unterstützte ihre Bewerbung
nachdrücklich und erfolgreich: am 1. Oktober 1947 trat Dr. J. N. ihren Posten als Vertrags-
bedienstete des Höheren Dienstes an, womit sie als erste Frau die Diplomatinnenlaufbahn
einschlagen konnte. Ein altgedienter Kollege soll geäußert haben: „Wenn das der Metternich
wüsste, er würde sich im Grab umdrehen.“ Die Doppelbelastung von Beruf und Betreuung
ihres Kindes bewältigte sie mit Hilfe ihrer Mutter, bis sie 1954 in die USA entsendet wurde;
dorthin nahm sie ihren nun zwölfjährigen Sohn mit und er besuchte eine Mittelschule, an-
schließend ein College, studierte an der Yale University in Stanford, wurde Rechtsanwalt und
kam nach Österreich nur mehr zu gelegentlichen Besuchen bei seiner Mutter.
1949 wurde sie an die österreichische Verbindungsstelle in Frankfurt a. M., 1951 nach Bonn
versetzt. 1953 wurde sie „definiv gestellt“ und leistete den Diensteid. Im September 1954
trat sie den Dienst an der Österreichischen Botschaft in Washington an, wurde 1955 an
das Generalkonsulat in New York versetzt und 1962 – wieder als erste Frau – zum General-
konsul Zweiter Klasse ernannt. Als sie 1962 nach Wien zurückberufen wurde, schrieb z. B.
ein führender Banker, Andrew L. Gomory, an Außenminister Bruno Kreisky, wie sehr ihr
Scheiden allseits bedauert werde, und hob „her personality, tact, legal knowledge and orga-
nizing ability“ hervor; das allgemeine Urteil in den Fachkreisen laute, dass „Dr. Nestor was
one of the finest Consular officials ever sent to New York“.
1966–1970 wurde sie als a. o. und bev. Botschafter nach New Delhi entsendet; in dieser Posi-
tion war sie nicht die erste Frau in Österreich, sondern Dr. Johanna Monschein, die 27
Tage
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 2, I – O
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 2, I – O
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1026
- Category
- Lexika