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Paneth | P 2451
Paneth Marie; Malerin und Sozialpädagogin
Geb. Österreich, 15. 8. 1895
Gest. London, Großbritannien, November 1986
Herkunft, Verwandtschaften: Schwiegervater: Joseph Paneth, Freund von Sigmund Freud.
Ausbildungen: Schülerin des Malers Karl Čižek.
Laufbahn: Im Jahr 1920 lernt sie Sigmund Freud kennen; kurz darauf zieht sie mit ihrem
Ehemann in das damalige Niederländisch-Ostindien (heute Indonesien). Später lässt sie
sich mit ihrem Mann in New York nieder, wo sie ihre Werke u. a. 1939 in der Society of
Independent Artists ausstellt. Den Großteil des Krieges verbringt sie in Großbritannien.
Hier wird die Straffälligkeit von Kindern und Jugendlichen, die während des Blitzkrieges
in Armut und unter Gesundheitsproblemen leidend ohne familiären Rückhalt leben, zu-
nehmend zum Problem. Die traumatisierten Jugendlichen haben in Luftschutzbunkern
und Flüchtlingszentren keinen Raum zum Spielen und zeigen extrem deviantes Verhalten.
In London startet M. P. ein sozialpädagogisches Projekt; sie liest zahlreiche Slumkinder
in den Straßen auf, die zu gewalttätig sind, um in Flüchtlingszentren zu leben und bringt
sie in ein Spielhaus („play shelter“) in einem abbruchreifen Gebäude mit ehemaligem
Luftschutzbunker in der Branch Street. M. P.s erzieherische Methode weicht stark von
den pädagogischen Idealen der Zeit ab. Sie tritt für einen entspannten, antiautoritären
Umgang ein und lässt die Jugendlichen ihre wütenden und gewalttätigen Ausbrüche aus-
agieren, um eine kathartische Wirkung zu erreichen. M. P. hält ihre MitarbeiterInnen an,
den Jugendlichen das Ausagieren ihres Zorns zu ermöglichen, bis sie selbst genug davon
hätten. Ihren Schützlingen gibt sie, wie auch Kindern in anderen Einrichtungen zuvor,
Material zum selbstständigen, ohne Regeln geleiteten Malen und Zeichnen. Dieser von
Čižek inspirierte Zugang zur Kunsterziehung bei Kindern schlägt in der Branch Street
erstmals fehl und resultiert in Attacken gegen die Einrichtung und die ErzieherInnen.
Als die Kinder auch noch den Spielplatz zerstören, kündigen die MitarbeiterInnen. M. P.
behält ihre Methode jedoch bei und lässt die Kinder so spielen, wie sie es auf der Straße
gelernt haben. Sie präsentiert ihnen einen ausgebombten Platz, an dem alle gemeinsam
mittels zusammengesammelten Baumaterials einen neuen Spielplatz errichten. Weiters
erbauen sie eine Feuerstelle, ein selbstverwaltetes Café, u. a. Das partizipatorische Branch
Street-Projekt nützt das kindliche Spiel zum Bau und Erhalt von Gemeinschaft: Die Ju-
gendlichen können sich mit einem gemeinsamen Ort und einem gemeinsamen Projekt
identifizieren und, indem sie selbst Verantwortung übernehmen, in den zerbombten und
zerstörten Orten ihrer Stadt etwas Neues Aufbauen. Das Projekt ist ein großer Erfolg, die
Jugendlichen gewinnen sukzessive Vertrauen zu ihren „Hausvätern“ und „Hausmüttern“
und ändern ihre Einstellung zu Autorität. Sie können sich bald sicher sein, die Erwachse-
nen auf ihrer Seite zu haben und als eigene Persönlichkeiten in ihren Sorgen und Bedürf-
nissen ernst genommen zu werden. Später wird M. P. angeben, ihre Erziehungsmethode
sei auch politisch motiviert: Zur Formung verantwortungsbewusster, selbstdisziplinierter
demokratischer Subjekte bedarf es eines Identifikationsobjektes, das sich nicht in einer po-
litischen Leitfigur wie einem Diktator manifestiert. M. P.s Ideen, allen voran die Idee des
Abenteuerspielplatzes („adventure playground“, „junk playground“) sind bis heute fester
Bestandteil der Theorie zur Jugendarbeit. M. P. arbeitet auch nach dem Krieg in Groß-
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 3, P – Z
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 3, P – Z
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1238
- Category
- Lexika