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Strasser | S 3205
Rationalisierung“, die 1924 und 1927 in deutscher Sprache erscheinen. Ihre wachsenden
Zweifel am politischen System in der Sowjetunion führen zu einer teilweisen Annäherung
an die Positionen Leo Trotzkis. 1928 kehrt das Ehepaar Strasser nach Österreich zurück.
I. St. nimmt ihre Tätigkeit bei der „Roten Fahne“ wieder auf und gestaltet u. a. die Gewerk-
schaftsseite mit. Zugleich ist sie auf der Suche nach einer neuen politischen Orientierung.
Sie gehört einem klandestinen Zirkel in der KPÖ an, der so genannten Innerparteilichen
Gruppe, zu deren Mitgliedern Jakob Frank, der spätere Sekretär Trotzkis, und Raïssa Adler
zählen. Als „Abweichlerin“ wird sie bald aus der Redaktion der „Roten Fahne“ entfernt, im
Juni 1929 folgt ihr Ausschluss aus der Partei. In den folgenden Jahren ist sie in die kompli-
zierten und letztlich erfolglosen Einigungsbestrebungen der zersplitterten trotzkistischen
Gruppierungen in Österreich involviert. Mit Leo Trotzki, der inzwischen im türkischen
Exil weilt, führt sie eine Korrespondenz über politische Fragen.
Die folgenden Jahre waren für I. St., die durch den Parteiausschluss auch ihren Arbeitsplatz
verloren hatte, von Existenzkämpfen geprägt. 1930 gründete sie ein Übersetzungs-, Schreib-
und Vervielfältigungsbüro, gab dieses jedoch nach zwei Jahren wieder auf. Danach arbeitete
sie gemeinsam mit anderen Ex-Kommunisten in einem Reklamebüro. Als freie Journalistin
schrieb sie für die Feuilletons verschiedener sozialistischer und bürgerlicher Zeitungen, wie
z.B. das „Prager Tagblatt“, Reportagen, Rezensionen und Kurzgeschichten. Auch schrift-
stellerisch war sie vermehrt tätig; so entstand u.a. der historische Roman „Tzu Hsi, Chinas
letzte Kaiserin“. Am 15. Oktober 1935 starb Josef Strasser nach schwerer Krankheit in Wien.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland erwog I. St.
eine Emigration, nachdem ihr Sohn als sozialdemokratischer Aktivist bereits am 12. März
1938 nach Frankreich geflüchtet war. Da ihre Tochter ihr Medizinstudium in Wien fort-
setzen wollte, entschloss sie sich jedoch zu bleiben und machte eine Ausbildung zur Phy-
siotherapeutin bei Primarius Josef Kowarschik, die sie 1939 abschloss. 1941 erhielt sie eine
Anstellung bei der Wiener bzw. Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse und war in
Ambulatorien in Wien und Mödling beschäftigt. Wie die mit ihr befreundete Muriel Gar-
diner bezeugt, war sie als Unterstützerin und Fluchthelferin für Verfolgte des NS-Regimes
tätig. So hielt sie etwa Kontakt mit Margarete Hilferding bis zu deren Deportation.
Nach dem Ende des Krieges setzte sie nebenberuflich ihre journalistische Tätigkeit fort, u.a. in
der „Arbeiter-Zeitung“ 1955 wurde I. St. pensioniert. Danach gründete sie den überparteilichen
und überkonfessionellen Pensionistenklub „Weiße Margariten“ und widmete sich der Arbeit
mit alten Menschen. Ihre Erfahrungen in der Sowjetunion verarbeitete sie in dem Roman
„Land ohne Schlaf“. Darin schildert sie das Schicksal kleinerer und mittlerer Funktionäre unter-
schiedlicher Nationalitäten vor dem Hintergrund der einsetzenden stalinistischen Repression
bis zum Beginn des Massenterrors Mitte der dreißiger Jahre. Einige der Romanfiguren tragen
autobiografische Züge. Am 23. August 1970 starb I. St., kurz vor der Veröffentlichung des Bu-
ches, in einem Wiener Krankenhaus nach einer Operation unerwartet an einem Lungeninfarkt.
Qu.: DÖW 18922/6 (Buttinger Materialien).
W.: „Arbeiterin und Gewerkschaft. Bibliothek der Roten Gewerkschafts-Internationale, 28“
(1924), „Frauenarbeit und Rationalisierung“ (1927), „Land ohne Schlaf. Roman“ (1970),
„Tzu Hsi, Chinas letzte Kaiserin. Veröff. im Linzer Tagblatt“ (1949), „Ein Königreich für
ein bißchen Liebe. Roman, unveröffentl.“, „Die Liebe der Marianne von Alcoforado. No-
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 3, P – Z
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 3, P – Z
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1238
- Category
- Lexika