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Verosta | V 3393
Andreas Stühler betrieb in der Bäckerstraße im ersten Bezirk eine Bäckerei und einen Ver-
kaufsladen in der Wollzeile. Es handelte sich zwar nicht um einen Familienbetrieb, sondern
um eine größere Bäckerei mit zeitweise bis zu zwanzig Mitarbeitern, doch kam es immer
wieder vor, dass M. und ihre Schwester Hilda als Aushilfen im Verkaufslokal tätig waren.
Aus pragmatischen Gründen absolvierte M. V. teilweise während ihrer Schulzeit, teilweise
während ihres Studiums, die Bäckerlehre und legte die Gesellenprüfung mit Erfolg ab. Sie
war daher in der Lage, mit einer antragsgemäß erteilten Dispens von der Meisterprüfung
während des Krieges neben ihrer Tätigkeit als Schulärztin die Bäckerei weiterzuführen. Ihr
Vater war nach einem Schlaganfall dazu nicht mehr in der Lage, ihr Bruder Dipl.Ing. Fritz
Stühler, der Bäckermeister war und das Geschäft bisher geführt hatte, als Soldat an der
Front.
M. V. erzählte später, dass sie die eine oder andere schlaflose Nacht verbracht hatte, wenn
sie am nächsten Tag in das Amtsgebäude der Gestapo am Morzinplatz zu gehen hatte, um
Heimaturlaub für die Bäckergesellen, die sie für das Geschäft brauchte, zu beantragen.
Im März 1942 heiratete M. St. Herrn Dr. Stephan Verosta, der zu diesem Zeitpunkt einge-
rückt war. Dieser war nach Absolvierung seines Jusstudiums Assistent bei Dr. Alfred Ver-
droß, dem damaligen Ordinarius für Völkerrecht und Rechtsphilosophie an der Universität
Wien und wurde dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten dienstzugeteilt.
Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten wurde er wegen „politischer Unzuverlässig-
keit“ suspendiert. Er hatte schon vorher die Richteramtsprüfung abgelegt und arbeitete bis
zu seiner Einberufung zum Wehrdienst als Richter. Nach der Rückkehr nach Wien wurde
er in das Außenministerium berufen und war in der Folge als Diplomat in Italien und Un-
garn tätig. Anschließend fungierte er als Leiter der außenpolitischen Abteilung und war in
dieser Funktion federführend für die Vorbereitung des österreichischen Staatsvertrages und
des Neutralitätsgesetzes. Danach war er als Botschafter in Polen tätig und wurde 1961 als
Ordinarius für Völkerrecht und Rechtsphilosophie an die Universität Wien berufen.
Aus dieser Ehe entstammten drei Kinder, Lukas, Gabriele und Michael. Ihren Kindern
war M. V. eine verständnisvolle und liebevolle Mutter, wenn sie auch zeitlebens die geistige
Behinderung ihres jüngsten Sohnes emotional belastete.
M. V. war eine sehr gute Ärztin. Viele Freunde und Bekannte holten sich bei ihr Rat, bei-
spielsweise vor medizinischen Eingriffen. Es kam immer wieder vor, dass der eine oder an-
dere Freund auf ihren Rat hin sich einem von einem anderen Arzt empfohlenen Eingriff
nicht unterzog und sich nachher herausstellte, dass der Eingriff, von dem Dr. V. abgeraten
hatte, ohnehin ganz überflüssig gewesen wäre. Sie hatte ihre Tätigkeit als Ärztin nach dem
Krieg aufgegeben, widmete sich der Familie und unterstützte zeitweise ihren Bruder bei
der Führung der in verkleinertem Umfang noch vorhandenen Bäckerei, bis diese verpachtet
wurde. Berufstätigkeiten übte sie nicht mehr aus.
Die wahre Liebe von Frau Dr. V. gehörte der Kunst, insbesondere der Malerei. Sie war auch
mit einigen Malern bekannt, darunter Kokoschka, Wiegele, Kolig, Laske und Boeckl. Ihr
Schwager Theodor Herzmansky, ebenfalls Maler, war ein Schüler von Franz Wiegele und
Anton Kolig.
Fast ihr ganzes Leben war M. V. in enger Freundschaft mit Dr. Johanna Monschein ver-
bunden, einer Diplomatin und Besitzerin einer der wohl ansehnlichsten Sammlungen alter
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Volume 3, P – Z
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- biografiA.
- Subtitle
- Lexikon österreichischer Frauen
- Volume
- 3, P – Z
- Editor
- Ilse Korotin
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1238
- Category
- Lexika