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64 Andrea Rzihacek und Christoph Egger
nebensächlichen – Kritikpunkte Gundlachs als beste Strategie erachtete. Allerdings hatte
er sich selbst mit seiner Entgegnung, die es durchaus nicht an Schärfe fehlen ließ, nun
zur Zielscheibe Gundlachs gemacht, der wegen „öffentlicher Beleidigung“ Klage gegen
ihn erhob. Nachdem die Gerichtsverhandlung zunächst verzögert und schließlich nicht
mehr weiter verfolgt wurde, verfasste Gundlach einen neuerlichen, nun hauptsächlich
gegen die Person Tangls, aber auch gegen den zuständigen Referenten im RMI Friedrich
Althoff, gerichteten Artikel in der „Frankfurter Zeitung“ vom 25. Oktober 1906180. Über
die darin geäußerten persönlichen Angriffe auf Tangl ging der permanente Ausschuss der
Zentraldirektion der MGH im Neuen Archiv181 nur mehr kurz hinweg. Aber auch das
RMI und Althoff182, der noch im Juni 1903 den von Gundlach geschilderten Vorwurf
der „aus dem Mangel einer strafferen Organisation unter einheitlicher Leitung folgen-
den Übelstände“183 auch nach Tangls Entgegnung nicht widerlegt sah, maßen der Kri-
tik Gundlachs nun keine Bedeutung mehr bei. 1903/04 holte es von zehn nahmhaften
Historikern, darunter Paul Kehr, Georg von Below, Hermann Grauert, Max Lehmann,
Ottokar Lorenz und Dietrich Schäfer, Gutachten über die Zukunft der MGH ein, zu
denen Reinhold Koser seitens der MGH eine Stellungnahme verfasste184. Das Ergebnis
der gesamten, sich über mehrere Jahre ziehenden Angelegenheit dürfte ganz im Sinne
der MGH gewesen sein : Die Neuorganisation der MGH wurde vertagt und mit der
Bestellung Reinhold Kosers, der als Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive die
MGH in Personalunion ab 1905 kommissarisch und ab April 1906 endgültig als neuer
Vorsitzender leitete, eine „Übernahme“ der MGH durch Paul Kehr zunächst erfolgreich
verhindert185.
180 Wilhelm Gundlach, Das preussische Kultusministerium Althoff und die Monumenta Germaniae histo-
rica, in : Frankfurter Zeitung Nr. 295 (25.10.1906) 1–3.
181 NA 32 (1907) 507f.: „Die neuen Expektorationen […] wiederholen fast nur schon früher von ihm gesagtes
und aus unserem Kreise bereits mehrfach abgewiesenes.“ Ein Dementi erfolgte lediglich zu den Anschuldi-
gungen der wissenschaftlichen Voraussetzungslosigkeit der Berufung Tangls nach Berlin sowie zur Behaup-
tung Gundlachs, seine Kritik habe die 1905 neu geregelte Geschäftsführung innerhalb der Zentraldirektion
beeinflusst.
182 Zu Althoff vgl. Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“
in historischer Perspektive, hg. v. Bernhard vom Brocke (Geschichte von Bildung und Wissenschaft Reihe
B/5, Hildesheim 1991).
183 BAB, R 1501, Nr. 1599, Althoff an den Reichskanzler, 25.06.1903, zitiert nach Schaller, Tangl (wie
Anm. 1) 157 Anm. 657.
184 In den meisten wesentlichen Punkten waren sich alle Gutachter einig. So sprachen sie sich etwa (nur mit
Ausnahme Kehrs) für die Beibehaltung der Gliederung in weitgehend autonome Abteilungen innerhalb der
MGH, für eine stärkere Förderung der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den historischen
Hilfswissenschaften sowie (mit Ausnahme Belows) prinzipiell für eine zeitliche Befristung des Unternehmens
aus, wenn auch die Meinungen im Detail mitunter erheblich divergierten.
185 Noch in seinen „Forschungen zu Karolinger Diplomen“ (wie Anm.141) kritisierte Tangl wissenschaftliche
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien