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68 Andrea Rzihacek und Christoph Egger
VIII. Ein unpolitischer Mensch ?
In Fragen des politischen Tagesgeschehens und der Weltanschauung übte Tangl Zurück-
haltung198 und schätzte solche auch bei anderen199. Allerdings war er keineswegs unpo-
litisch. Teils lassen sich gewisse Tendenzen durch das persönliche Umfeld und die Vor-
gangsweise Tangls in bestimmten Situationen erkennen, teils bezog er, wohl unter dem
Eindruck der innenpolitischen Situation seiner Heimat, vor allem in der Nationalitäten-
frage eindeutig und engagiert Stellung.
In einer Zeit, in der antisemitische Strömungen in allen Bereichen Fuß fassten und
jemand, der seine antisemitische Gesinnung offen zum Ausdruck brachte, zunehmend
mit breiter Zustimmung rechnen durfte, scheint Tangl an den auch an den Universitäten
immer häufiger zu beobachtenden Versuchen, Juden auszugrenzen, nicht beteiligt gewe-
sen zu sein. Mit jüdischen Kollegen, allen voran Bresslau, mit dem gemeinsam er das „Ar-
chiv für Urkundenforschung“ begründete und dem er als Gelehrten und Menschen große
tik der Vertreter der Wiener Schule anschließt : „Die neue Zeitschrift hat frischen Wind in die Gefilde der
Diplomatik gebracht, ohne diese völlig zu verändern.“ Bereits vorher hatte er selbst festgestellt, dass mit der
Nachfolge Ottenthals sowohl auf die Lehrkanzel Mühlbachers als auch in der Direktion des IÖG eine 22
Jahre andauernde „Zeit innerer und äußerer Stagnation“ (ebd. 41) angebrochen war. In Anbetracht dieser –
im Übrigen auf persönliche Erfahrungen Lhotskys – beruhenden Einschätzung wird man den Herausgebern
des „Archivs“ konzedieren können, dass doch – abgesehen von den persönlichen Motiven – auch eine gewisse
äußere Veranlassung bestand, den Hilfswissenschaften neue Impulse zu verleihen.
198 Georgine Tangl beschrieb die Haltung des Vaters wie folgt : „Überdies hat er sich auch in mancher Hinsicht
mit vollem Bewußtsein Zurückhaltung auferlegt, so vor allem in der Politik. Von Haus aus in den öffentli-
chen Verhältnissen Österreichs vorzüglich beschlagen und für die Fehler des deutschen politischen Lebens
sehr scharfsichtig, trat er dennoch politisch in keiner Weise hervor und vermied es, zu Tagesfragen öffentlich
Stellung zu nehmen.“ (Vgl. Tangl, Tangl [wie Anm. 4] 11). Auch bei Oberkofler, Einfluß (wie Anm.
9) 235, steht die politische Zurückhaltung Tangls im Vordergrund : „[…] Tangl, der sich im Berliner Kreis
von politischen Erörterungen zurückhielt […] wollte, das ist ganz deutlich, in Berlin Verständnis für das
untergegangene alte Österreich wecken. Er hat deshalb den Nationalismus, der unter den bürgerlichen His-
torikern seiner Zeit verbreitet war, nicht unterstützt.“ Ähnlich auch Tangls Schüler Heinrich Sproemberg,
Zum Geleit, in : Tangl, Mittelalter 1 7f., hier 8 : „Die Jung-Rankianer und auch die Nationalisten hatten
eine beherrschende Stellung eingenommen ; die Folgen haben sich in schmerzlicher Weise beim Ausbruch
des ersten Weltkrieges gezeigt. Kein geringerer als Gerhard Ritter hat durch seinen Schüler und auch selbst
den Nachweis des völligen Versagens der Berliner Historiker und ihrer politischen Blindheit geführt. Michael
Tangl hat sich, wie auch seine Tochter betont, von derartigen Bestrebungen ferngehalten – und man hat ihn
das auch fühlen lassen.“
199 So irritierte Tangl im Rahmen des Berufungsverfahrens für die Nachfolge Scheffer-Boichorst an der Persön-
lichkeit Dietrich Schäfers dessen politischer Aktivismus : Jens P. Ackermann, Die Geburt des modernen
Propagandakrieges im Ersten Weltkrieg. Dietrich Schäfer, Gelehrter und Politiker (Europäische Hochschul-
schriften III/987, Frankfurt/Main/Berlin/Bern u.a. 2004) 132f.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien