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74 Andrea Rzihacek und Christoph Egger
wichtigsten Konversationslexika des deutschen Sprachraumes222. Hand in Hand mit die-
sem Befund geht die Tatsache, dass Tangl zu den weitaus am niedrigsten dotierten ordent-
lichen Professoren der Berliner Universität gehörte. Mit einem Anfangsgehalt von 4.800
Goldmark und einem Gehalt von 6.000 Goldmark im Jahr 1914 fiel er deutlich hinter
andere Kollegen, wie etwa Eduard Meyer, der zur gleichen Zeit mit 12.000 Goldmark
doppelt so viel verdiente, zurück. Dabei ist allerdings festzuhalten, dass diese Diskrepanz
bei den Gehältern nicht nur mit dem Verhandlungsgeschick oder dem persönlichen An-
sehen des einzelnen zu tun hatte, sondern auch mit dem, im Falle Tangls vergleichsweise
geringen Prestige seines hilfswissenschaftlichen Lehrstuhls223.
Mit drei großen Editionen – den päpstlichen Kanzleiordnungen, den Karolingerur-
kunden, den Bonifatius-Briefen – vier Übersetzungen von Briefeditionen, einem Tafel-
werk (Arndt-Tangl) und 50 Aufsätzen, die Tangl neben einer langen Reihe von fachlich
sehr anspruchsvollen Rezensionen im Laufe seines etwa 30 Jahre umspannenden Gelehr-
tenlebens vorlegen konnte, gehört sein Werk sicher nicht zu den großen, den wirkungs-
kräftigsten Œuvres der Geschichtswissenschaft224. Mehrere Vorhaben, zu denen bereits in
jahrelanger Beschäftigung wertvolles Material erarbeitet worden war und die wohl auch
schon in konkreter Form geplant waren, wie etwa weitere Editionen von Papstbriefen in
der MGH-Reihe der Epistolae, ein Tafelwerk zu den mittelalterlichen Urkundenfälschun-
gen, Überblicksdarstellungen zur Chronologie und Paläografie, eine Papsturkundenlehre
oder eine Biografie des heiligen Bonifatius, konnten – sicher zunächst durch die Über-
222 Vgl. die Untersuchung der „Distribution des wissenschaftlichen Prestiges 1890–1933“ an der Berliner Uni-
versität durch Kolář, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 57) 408 (Tabelle IV). Im „Brockhaus“ erhielt Tangl
erst 1934 einen eigenen Eintrag, in „Meyers Konversationslexikon“ immerhin bereits fünf Jahre früher, 1929
– jedoch immer noch erst acht Jahre nach seinem Tod. In „Degener’s Wer ist’s“ (erschienen seit 1905) fand er
als einer der wenigen seiner Professorenkollegen in Berlin nie Aufnahme (dies könnte allerdings, sofern die
Aufnahme in einschlägige Lexika auf Eigeninitiative der betreffenden Person erfolgte, im Gegenteil auch als
Ausdruck von Tangls persönlicher Bescheidenheit interpretiert werden). Nach Kolářs Resümee zählte Tangl
aber doch wohl zu jenen „Professoren, die zwar im Fach mächtig waren, dagegen aber niedrigere Werte
wissenschaftlichen Prestiges aufzeigen“ (ebd. 410). Dieser Befund lässt sich bis heute in den wichtigsten Ge-
lehrtenlexika nachverfolgen : Zu Tangl gibt es kurze Artikel in Wolfgang Weber, Biographisches Lexikon zur
Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Frankfurt a. M./Bern/New York u.a.
1984) 599f., der Deutschen biographischen Enzyklopädie 9 (1998) 654, und in Fritz Fellner, Doris Cor-
radini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches
Lexikon (Wien/Köln/Weimar 2006) 408.
223 Vgl. dazu Kolář, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 57) 411 (Tabelle V : Distribution des ökonomischen
Kapitals). Allerdings verdiente Scheffer-Boichorst 1900 auf demselben Lehrstuhl 9.200 Goldmark.
224 Vgl. dazu die Zusammenfassung bei Schaller, Tangl (wie Anm. 1) 296–298. Oberkofler, Einfluß (wie
Anm. 9) 233, leitet seine Arbeit wie folgt ein : „Michael Tangl ist wohl nur noch wenigen Spezialisten der
Historischen Hilfswissenschaften bekannt. Aber innerhalb dieses engen Kreises ist sein Name ein weit heraus-
ragender.“
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien