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86 Peter Herde
II.
Im Jahr 1900 arbeitete Anton Chroust, der zwei Jahre zuvor auf Empfehlung von Fe-
lix Stieve als Extraordinarius für Neuere Geschichte und Historische Hilfswissenschaften
an die Universität Würzburg berufen worden war, an seinem berühmten, aber wegen
des exorbitanten Preises nicht weit verbreiteten Werk Monumenta Palaeographica1 in
der Handschriftenabteilung der Würzburger Universitätsbibliothek. Dabei sah er insbe-
sondere jene Handschriften der alten Dombibliothek durch, die 1717 vom Domdekan
Christoph Franz von Hutten auf dem Dachboden des Würzburger Doms entdeckt wor-
den waren, wo man sie 1631 vor den Schweden versteckt hatte. Zuvor waren 45 oder
46 Handschriften, vermutlich von englischen Offizieren in schwedischen Diensten, ge-
stohlen, nach England gebracht und dem Erzbischof von Canterbury und Kanzler der
Universität Oxford, William Laud (1573–1645), verkauft worden, der sie ab 1635 der
Bodleian Library schenkte, wo sie zusammen mit vielen weiteren, teilweise ebenfalls in
Deutschland gestohlenen Handschriften den Bestand der Codices Laudiani bilden2. Es
ist ein einmaliger, geschlossener Handschriftenbestand, vergleichbar mit dem der Kapi-
telsbibliothek Verona, Zeugnis der eminenten kulturellen Bedeutung Würzburgs zur Zeit
des ersten angelsächsischen Bischofs Burkhard (742–53) und seiner Nachfolger. Irisches
findet sich trotz der mittelalterlichen Bezeichnung Libri sancti Kyliani unter diesen Ma-
nuskripten nicht, dafür sind viele von ihnen in angelsächsischer Schrift geschrieben, die
in Würzburg im 9. Jahrhundert noch Jahrzehnte hindurch von einheimischen Geistlichen
geschrieben wurde, als überall sonst bereits die karolingische Minuskel herrschte3.
Als Chroust eine der wertvollsten Handschriften aus diesem Bestand studierte, den
Kodex M.p.th.q.2, in italienischer Unziale des 5. Jh.s, mit dem Kommentar des hl. Hiero-
nymus zum Ecclesiasten, fiel ihm auf fol.1v ein Vermerk in angelsächsischer Halbunziale
auf :
Cuthsuuithae. boec. thaerae abbatissan. (Ein Buch der Cuthsuuith, der Äbtissin.)
1 Monumenta Palaeographica. Denkmäler der Schreibkunst im Mittelalter. In Verbindung mit Dr. Hans
Schnorr von Carolsfeld (später : In Verbindung mit Fachgenossen) hg. v. Anton Chroust, Abt. 1, Ser. 1, 1–3
(München 1902–1905) ; Abt. 1, Ser. 2, 1–3 (München 1911–1917) ; Abt. 1, Ser. 3, 1–2 (Leipzig 1931–1935).
Im Folgenden sind bei Zitaten von Archivalien folgende Abkürzungen benutzt : UAWb, ARS (= Akten des
Rektors und Senats der Universität Würzburg) ; BHStAM (= Bayerisches Hauptsstaatsarchiv München).
2 Ludwig Traube, Geschichte der Paläographie, in : ders., Vorlesungen und Abhandlungen 1, hg. v. Franz
Boll (München 1909) 48f.; Bernhard Bischoff, Josef Hofmann, Libri sancti Kyliani. Die Würzburger
Schreibschule und die Dombibliothek im VIII. und IX. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Ge-
schichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 4, Würzburg 1952) 63ff. (Hofmann) ; Hermann Knaus, in :
Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz IV/2 (München 1979) 970f. Zu Erzbi-
schof Laud vgl. Hugh Trevor-Roper, Archbischop Laud 1573–1645 (London 31988) bes. 271ff.
3 Bischoff, Libri sancti Kyliani (wie Anm. 2) 13ff.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien