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90 Peter Herde
eine vorzügliche Italianistin ; sie verfasste u.a. eine Monografie über die sardische Dichte-
rin und Nobelpreisträgerin von 1926 Grazia Deledda; außerdem versuchte sie, die wegen
der Südtirolfrage mit Benito Mussolini zerfallene deutsche Rechte mit dem italienischen
Faschismus zu versöhnen und soll dabei mit Mussolini selbst Gespräche geführt haben16.
Aber auch ein anderes, für Chroust fast noch wichtigeres Charakteristikum wurde be-
reits in Graz offenkundig : sein iraszibles Temperament und seine Streitsucht. Seine schwie-
rige wirtschaftliche Lage und seine Chancenlosigkeit in Graz veranlassten ihn, mithilfe
von Stieve 1891 als Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akade-
mie der Wissenschaft nach München überzuwechseln. Nach anfänglich eingeschränkter
Lehrtätigkeit in Graz gab er dort im Dezember 1893 seine Venia auf, nachdem er sich in
München für das Gesamtgebiet der Geschichte erneut habilitiert hatte. In den endenden
achtziger und den beginnenden neunziger Jahren hat er nach seinen Arbeiten über Lud-
wig den Bayern und die langobardischen Urkunden wichtige Aufsätze zu mittelalterlichen
Quellen publiziert, u. a. über den Kreuzzug Barbarossas, die ihn in Kontakt mit den MGH
in Berlin brachten ; 1928 publizierte er die vorzügliche Edition „Quellen zur Geschichte
des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I“ bei den MGH17. Auch in den folgenden Jahrzehnten
16 Sie ist Verfasserin u.a. von : Saggi di letteratura italiana. Da G. Carducci al futurismo 1–3 (Würzburg 1921–22) ;
Grazia Deledda e la Sardegna (Rom/Mailand 1932) ; mit Hermann Willers, Einführung in die italienische
Sprache (Leipzig 1940). Dazu viele Zeitungsaufsätze zum Lob des faschistischen Italiens. Vgl. die Würzburger
Gestapoakte Chroust, Hermann Anton (StA Würzburg). Hier heißt es über seine Mutter Johanna, geb. Sander,
geb. 14.04.1884 in Triest, Ehefrau von Prof. Anton Chroust, Tochter des Oberbezirksarztes Friedrich Sander und
seiner Ehefrau Josefine, geb. Erlacher, sie sei „eine eifrige Anhängerin der italienischen faschistischen Bewegung
und wurde im Jahre 1933 oder 1934 von Mussolini in Rom auch in Privataudienz empfangen. Sie befasste sich im
Jahre 1934 ernstlich mit dem Plan, in Würzburg eine Ortsgruppe des Vereins ‚Societa Nazionale Dante Alleghiere‘
(sic) ins Leben zu rufen, stieß hier aber auf Schwierigkeiten, die ihr bis jetzt die Bildung des Vereins nicht ermög-
lichten“. Eine Würzburger Dante-Gesellschaft, die mit der Società Dante Alighieri in Verbindung steht, wurde
erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Wegen ihrer zahlreichen Auslandskontakte und Italienreisen wurden
Frau Chroust und ihr Sohn, Priv.-Doz. Hermann Anton, sowie ihre Tochter Karoline von der Gestapo überwacht
(über Anton Chroust dagegen gab es offensichtlich keine Gestapoakte) und 1934 sogar der Spionage verdächtigt,
was sich jedoch nicht erhärten ließ. Die Postüberwachung führte zu dem Ergebnis : „Der Schriftwechsel ließ zum
Teil zwar eine reaktionäre Einstellung erkennen, Verfehlungen im strafrechtlichen Sinne waren jedoch nicht fest-
zustellen.“ In der Frühzeit des Nationalsozialismus galten Kontakte zum Faschismus oder der (im Gegensatz zur
wissenschaftlichen Società Dantesca Italiana) stark faschistisch geprägten Società Dante Alighieri noch als verdäch-
tig. Erst am 29.06.1939 änderte sich das Bild (StA Würzburg, Gestapoakte Schmitt, Alois). Hier wird Johanna
Chrousts guter Ruf und Leumund bestätigt. Über sie sei nichts Nachteiliges bekannt. Sie habe sich in den letzten
Jahren wiederholt in Italien aufgehalten. „Sie war schon vor der nationalen Erhebung eine eifrigste Anhängerin
der italienischen faschistischen Bewegung. Dem Nationalsozialismus steht sie gleichfalls bejahend gegenüber. Seit
1.5.37 ist sie Mitglied der NSDAP. Sie hat die Mitgliedsnummer 4642711.“ Dass sie Gespräche mit Mussolini
führte, habe ich in dessen Akten im Archivio Centrale dello Stato in Rom bislang nicht verifizieren können.
17 Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I., hg. v. Anton Chroust (MGH SS rer. Germ. n.
s. 5, Berlin 1928).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien