Page - 103 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
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Anton Chroust (1864–1945) 103
worden sei ; zudem wurde auf einen Brief des Grazer Professors Eduard Richter verwie-
sen, der Chroust wissenschaftlich und menschlich lobt und seine Zugehörigkeit zu den
Deutschnationalen, aber nicht zu den Radikalen Schönerers positiv hervorhebt ; inwieweit
das ein Beweis für seine „Katholizität“ darstellt, bleibt rätselhaft66.
In Philosophie und Neuerer Geschichte waren nach Ansicht der Fakultät Parallel-
Lehrstühle mit Männern entgegengesetzter Weltanschauung zu besetzen. Nun wäre es völlig
verfehlt zu glauben, ein solches Argument hätte beim damaligen bayerischen Kultusmi-
nisterium Unmut hervorrufen können. Denn die bayerische Politik zwischen der Reichs-
gründung und dem Ersten Weltkrieg ist gekennzeichnet durch die Gegensätze zwischen
liberalen Kabinetten und einer liberalen Ministerialbürokratie auf der einen und katholi-
schen, „ultramontanen“ Parlamentsmehrheiten auf der anderen Seite. So war der dama-
lige evangelische leitende Minister von Crailsheim ein „großer Bewunderer Bismarcks“,
„Vertreter des bayerischen Beamtenliberalismus“ und „in seinem Denken […] ganz der
kulturkämpferischen Ära Lutz verhaftet“67, und auch der Mittelfranke Robert von Land-
mann, Minister des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten (Kultusminister),
war ein Repräsentant der liberalen bayerischen Ministerialbürokratie68, gehörte aber als
Katholik der eher liberal-konservativen, nicht der nationalliberalen Richtung an und war
um Ausgleich mit der katholischen Parlamentsmehrheit bemüht. Bekanntlich hatte der
1901 noch nicht überwundene so genannte „Kulturkampf“ in Bayern nie die verbissenen
ideologischen Formen angenommen wie andernorts, sondern war im Wesentlichen eine
Auseinandersetzung um staatskirchenrechtliche Fragen geblieben, auch wenn die Son-
dergesetzgebung des Reiches auf Bayern übertragen worden war. Auf jeden Fall wünschte
sich die bayerische Kultusbürokratie auch noch um 1900 sicher keine „Ultramontanen“
auf historischen Lehrstühlen, aber das war Chroust nun weiß Gott nicht. Und so hat das
Ministerium, als ihm die Angelegenheit auf dem Wege der Beschwerde durch den Senat
vorgelegt werden musste, auch das zweite, konfessionelle Argument der Fakultätsmehr-
heit keineswegs von vornherein abgelehnt, vielmehr zunächst betont, dass es sich vorbe-
halte, die von der Mehrheit der Fakultät bestrittene wissenschaftliche Qualifikation einer
weiteren Würdigung zu unterziehen ; den anderen Grund der Majorität, dass Chroust keine
genügend liberale Geschichtsauffassung vertrete, konnte das Ministerium in dem gegebenen
Falle nicht als berechtigt anerkennen, da es sich nicht um eine erst zu besetzende Stelle han-
delte, sondern die Stelle auf den eigenen Antrag der Fakultät hin mit Chroust besetzt und nur
66 Schreiben der Fakultät an den Senat vom 04.07.1901, UAWb, ARS Nr. 1621. Dort auch der Brief Ritters vom
06.03.1901. Des Weiteren wird bemängelt, Chroust habe in Czernowitz und Münster nur an letzter Stelle von
Listen gestanden. Positiv über Chroust äußerte sich Dietrich Schäfer (ebd.).
67 Karl Otmar von Aretin, Krafft von Crailsheim, in : NDB 3 (Berlin 1957) 387f.
68 Walter Schärl, Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft von 1806 bis 1918 (Kallmünz 1955)
98 Nr. 31. Vgl. auch 39, 46.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien