Page - 107 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Image of the Page - 107 -
Text of the Page - 107 -
Anton Chroust (1864–1945) 107
Brief Brenners sei ein Privatschreiben gewesen – dieser selbst hatte ihn freilich, wie wir
sahen, als halboffiziell bezeichnet –, von dem die Fakultät erst durch Chrousts Beschwerde
vom 12. Mai erfahren habe76. Auch die diskriminierenden Erkundigungen Brenners nach
Chrousts politischer Haltung wurden spitzfindig heruntergespielt. Der Minister missbil-
ligte am 8. Oktober 1901 das Verhalten der Fakultät, weil sie gegen den Brenner’schen
Brief, den er zu Recht als kränkend und verletzend und ehrenrührig bezeichnete, nicht
von Anfang an entschieden protestiert habe, akzeptierte aber trotz der Widersprüche die
nachträgliche Behauptung der Mehrheit der Fakultät, es habe sich um ein ohne ihre Billi-
gung abgesandtes Privatschreiben gehandelt. Im Falle Chrousts handle es sich, so das uns
schon bekannte Argument, nicht um eine Neubesetzung, sondern um eine Beförderung,
für die nur die Leistungen in Wissenschaft und Lehre, nicht die vom Professor vertretene
Richtung maßgebend sei. Bei Neubesetzungen in Philosophie und Neuerer Geschichte
sei im Übrigen gegen das Prinzip, die Stellen mit Professoren verschiedener wissenschaftlicher
Richtung zu besetzen, im Allgemeinen nichts einzuwenden. In diesem Punkt wird Chrousts
Beschwerde als berechtigt bezeichnet77. Diese Vorgänge haben den ohnehin leicht erreg-
baren Chroust schwer verletzt. Wenn Chroust durch diese sich lange hinziehenden Streite-
reien nicht gereizt worden wäre, müßte er kein Mensch sein […], so formulierte es der un-
bestechliche Theologe Sebastian Merkle78, obschon er an sich kein Freund Chrousts war.
Dieser reagierte am 19. Oktober 1901 mit einem beleidigenden Schreiben an Förster, in
dem er ihm Unkollegialität und Intrigen in der Fakultät aus Neid wegen seiner beantrag-
ten früheren Beförderung zum Ordinarius vorwarf.
Nach dem Scheitern des Versuchs einer gütlichen Einigung unter Vermittlung eines
Professors der Rechte erhob Förster am 22. November 1901 Beschwerde beim Kultus-
ministerium und legte die Wiederherstellung [s]einer beschimpften Ehre in die Hand des
hohen Staatsministeriums. Am 4. Januar 1902 erhob er zudem Privatklage gegen Chroust.
Die Juristen des Kultusministeriums bemühten sich sachlich um eine Bereinigung der
Angelegenheit. Der beleidigende Charakter des Briefes Chrousts vom 19. Oktober 1901
76 Die unterschiedlichen Voten der Mehrheit vom 17.07.1901 und der Minderheit vom 20.07.1901 UAWb,
ARS Nr. 1621. Die Fakultät tadelte u.a., dass Chroust bei seiner Beschwerde nicht den Dienstweg eingehalten
habe, und berief sich auf eine durch Senatsbeschluss vom 14.06.1901 eingeschärfte Verfügung des Kultusmi-
nisteriums vom 16.07.1885 Nr. 7462. Doch wird man Chroust zugutehalten müssen, dass er bereits schlechte
Erfahrungen gemacht hatte, da die Fakultät seinen Antrag auf Ernennung zum Ordinarius nicht an den Senat
weitergereicht hatte. Am 20.07.1901 machte Brenner seinen „Fehler“ wieder gut und erklärte dem Senat ge-
genüber, der Brief an Luick sei vollkommen privater Natur gewesen [!].
77 UAWb, ARS Nr. 1621.
78 Sondervotum Merkle vom 04.07.1902 im Bericht des Akademischen Senats an das Kultusministerium vom
04.07.1902, BHStAM, MK 11364. Auch in UAWb, ARS Nr. 1623. Bericht des Senats vom 23.07.1902, wie
Anm. 4, Auch für das Folgende.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien