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112 Peter Herde
nigen Aussicht auf Vorschlag hätten, die kirchenfeindliche Tendenzen verfolgen. Er verwies
auch auf die Versuche der Mehrheit der Fakultät, Chrousts wissenschaftliche Leistungen
zu relativieren, was angesichts seiner Publikationen, der Monumenta Palaeographica und
der Arbeiten über den Dreißigjährigen Krieg, die ihm Listenplätze in Tübingen, Czerno-
witz und Münster eingebracht hätten, nur als Vertuschung der eigentlichen Absichten
angesehen werden müsse. In Wirklichkeit wolle man die Verhältnisse in der Fakultät nicht
gestört wissen, daß nämlich sieben Evangelische gegen drei Katholische stehen93. Der Abge-
ordnete wies dann auf das Possenspiel mit der Änderung der Anciennität und auf einen
Ruf, den Förster an die Handelshochschule Frankfurt (d.h. die Akademie für Sozial- und
Handelswissenschaften) erhalten habe94, über die auch der Würzburger Rektor negative
Äußerungen gemacht habe. Schädler verwies weiter auf die Notwendigkeit der Errichtung
eines Ordinariats für Neuere Geschichte, auf das Chroust berufen werden sollte ; wie das
Ministerium argumentierte er, in diesem Falle handle es sich nicht um die Berufung auf
ein freies Ordinariat, sondern um eine Beförderung, für die allein die wissenschaftlichen
und lehramtlichen Leistungen, nicht aber die wissenschaftliche Richtung, der der Professor
angehört, maßgeblich seien.
Der Sprecher der liberalen Fraktion, Leopold Casselmann95, offensichtlich der wich-
tigste Kontaktmann der Würzburger Chroust-Gegner, konterte mit persönlichen Angrif-
fen auf Chroust, griff dabei, um ihn als Querulanten zu charakterisieren, auf seine Tä-
tigkeit bei der Historischen Kommission in München zurück, stellte die Qualität seiner
wissenschaftlichen Leistungen infrage und spielte die Gesinnungsschnüffelei Brenners
herunter : Dessen Brief sei nicht im Auftrage der Fakultät geschrieben worden und nicht
für Dritte bestimmt gewesen ; er sei nur durch die verantwortungslose Indiskretion des
Grazer Rektors Luick bekannt geworden. Die Fakultät habe Chroust keineswegs abge-
lehnt, weil er Katholik sei, denn sie sei darin sehr großzügig : Sie habe immerhin (so
93 Auf Antrag des Untersuchungsrichters am Landgericht Augsburg im Rahmen eines gegen die Augsburger
Postzeitung eingeleiteten Ermittlungsverfahrens (vgl. Schreiben vom 08.09.1902) stellte die Universität am
10.09.1902 eine statistische Übersicht über die Konfession der Würzburger Universitätsprofessoren, also nicht
nur der Ordinarien zusammen (UAWb, ARS Nr. 1623). Danach waren in der Philosophischen Fakultät 18
Protestanten, 10 Katholiken und ein Dissident (Theologische Fakultät : 8 Katholiken ; Juristische Fakultät : 4
Protestanten, 3 Katholiken ; Medizinische Fakultät : 13 Protestanten, 7 Katholiken, ein Altkatholik).
94 Kurz zuvor hatte Förster einen solchen Ruf erhalten ; einen weiteren erhielt er an die Handelshochschule
Köln. Um ihn zu halten, schlug die Fakultät seine Ernennung zum ordentlichen Professor vor, womit das
Ministerium unter der Bedingung einverstanden war, dass die Universität die Mittel dafür aufbringe, was
diese tat. Freilich zögerte das Ministerium zunächst nach Ablehnung der Rufe durch Förster, die Ernennung
vorzunehmen, da sich die Presse des Falls bemächtigt und ihn mit der Sache Chroust in Verbindung gebracht
hatte ; es wollte die Erledigung der Angelegenheit Chroust abwarten (so die Promemoria des Ministeriums
vom 29.07.1902), wie Anm. 61.
95 Wie Anm. 92, 944ff.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien