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116 Peter Herde
habe den Protest aus Gründen der Rechtfertigung vor den Wählern den Dekanen und Pro-
fessoren mitgeteilt, wodurch er der Natur der Sache nach nicht geheim zu halten gewesen
sei107, missbilligte Landmann in seinen Berichten vom 2., 4. und 29. Juli 1902 an den
Prinzregenten108 entschieden das Verhalten des Senats. Landmann wäre an sich gezwun-
gen gewesen, gegen den Rektor und die Mehrheit des Senats dienstrechtliche Maßnahmen
wegen Verletzung der Vertraulichkeit einzuleiten. Wegen des großen Aufsehens, das die
liberalen Politiker und die liberale Presse entfachten, zögerte er jedoch ; er glaubte, dazu
die Zustimmung des Prinzregenten zu benötigen109. Damit wurde die Sache endgültig
zum Politikum. Nach der Verfassungspraxis war jeder Minister für sein Ressort allein der
Krone verantwortlich, seine Entscheidungen bedurften nicht der Zustimmung des Mi-
nisterrats, der überhaupt kein Beschlussgremium war. Hier trat nun in das Intrigenspiel
der Chef der Geheimkanzlei und Freund Luitpolds, der Sohn eines Münchner Schneider-
meisters, Peter Wiedenmann, in Aktion110. Er machte in der Affäre Chroust gemeinsame
Sache mit den Liberalen, denen er wegen seiner protestantischen Konfession nahestand,
und den Würzburger Professoren ; er soll sich zu dieser Zeit in Würzburg aufgehalten
haben111. Um Landmann aus dem Amte zu entfernen, legte er dessen Antrag an Luitpold
auf Disziplinierung des Senats dem Ministerrat vor, wo vor allem die Nationalliberalen,
Innenminister Max Freiherr von Feilitzsch und Finanzminister Emil von Riedel, sowie
der leitende Minister von Crailsheim selbst – obschon er sich taktisch bedeckt hielt – die
große Chance sahen, den banalen Würzburger Professorenstreit zum Sturz von Landmann
zu nutzen, nachdem das im Zusammenhang mit dem Schulgesetz wenige Monate früher
misslungen war112. Am 7. Juli 1902 berichtete Crailsheim dem Prinzregenten über das
Ergebnis113. Die Feinde Landmanns im Kabinett waren natürlich geschickt vorgegangen.
Die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des Senats war nicht zu bestreiten. Deshalb galt es,
Landmann in eine Situation zu manövrieren, die ihn zum Rücktritt zwingen musste. Der
Ministerrat empfahl dem Prinzregenten, die Entscheidung über die Annahme der Rück-
trittsgesuche von Rektor und Senatsmehrheit zu verschieben, und Luitpold stimmte zu.
Wohl zu Recht sieht man in dieser Handlungsweise des Prinzregenten, der damals wegen
107 So im langen Bericht von Rektor und Senat an den Kultusminister vom 23.07.1902, BHStAM MK 11364.;
Entwurf mit vielen Verbesserungen UAWb, ARS Nr. 1623.
108 BHStAM, MK 11364.
109 Möckl, Prinzregentenzeit (wie Anm. 86) 523f.
110 Ebd. 186f. mit Anm. 54, der Wiedenmann, der als enger Duzfreund des Prinzen bis zum General der Artille-
rie aufstieg, als „mächtigsten Mann im Staate“, aber auch als einen „der meistgehaßten Männer“ bezeichnet.
111 Ebd. 523 mit Anm. 146.
112 Ebd. 523 ; auch ders., Gesellschaft und Politik während der Ära des Prinzregenten Luitpold. Ein Beitrag zur
Vorgeschichte der Revolution in Bayern, in : Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Vorausset-
zungen, ihr Verlauf und ihre Folge, hg. v. Karl Bosl (München 1969) 16ff.
113 BHStAM, MK 11364.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien