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146 Klaus Wachtel
lig schwierigen Situation der betroffenen deutschen Bevölkerung auf Stein kann man
sich angesichts fehlender Hinweise kaum eine Vorstellung machen. Doch scheinen ihn
weder diese Ereignisse noch die immer stärker hervortretende antisemitische Atmo-
sphäre112 in seiner Tätigkeit als akademischer Lehrer und Forscher über Gebühr beein-
trächtigt zu haben, im Gegenteil : „Arthur Stein blieb [im Gegensatz zu Ehrenberg] im
Land und arbeitete bis zur letzten Stunde (er soll im Lager Theresienstadt gestorben
sein) [hier irrt der Autor]. Bis 1938 und wahrscheinlich bis zum letzten Hauch fühlte
er sich mit Leib und Seele der deutschen Nation zugehörig. Für nationale Rechte der
Universität und jedes Studierenden stand er in jeder Kommission, vor jedem Forum
unbeugsam ein. Es war weit mehr als nationalliberale Gesinnung, was ihn an deutschen
Geist und deutsche Sprache, deutsche Kulturgemeinschaft und -überlieferung band. Er
hat, er hätte durch dick und dünn zu seiner Fakultät gehalten, er hätte niemals wider
sie streiten können – so beschwört das Gedächtnis der Fakultät allzeit die Erinnerung
an Arthur Stein als einen ihrer Unverlierbaren.“ So schrieb ein Kollege, der 1928–1938
mit ihm in der Fakultät gesessen hatte, voll anerkennender Hochachtung zwei Dezen-
nien danach113 ; nur dass dieser Kollege, Herbert Cysarz, selbst zu den überzeugten
Nationalsozialisten unter den Prager Lehrenden zählte, gibt dessen späten Lob einen
bitteren Beigeschmack114.
Viktor Bassler, der Anfang der 1930er Jahre zu Steins Studenten zählte, erinnerte sich :
„Als Examinator stellte Prof. Stein hohe Anforderungen. Er wußte jedoch in seinen Vor-
lesungen, in denen er seine Hörer durch Zwischenfragen zur Mitarbeit anzuregen pflegte,
und in seinen stets gut besuchten Seminarübungen manch jungen Studenten zur wissen-
schaftlichen Arbeit auf dem Gebiete der Altertumskunde zu gewinnen, und wer einmal
ernstes Interesse dafür gezeigt hatte, konnte mit unermüdlicher Förderung rechnen. […]
Seine ungeheuere Vitalität, begleitet von einer eisernen Gesundheit, die ihm trotz der
schweren KZ-Jahre bis ins hohe Alter erhalten blieb, kam uns jungen Studenten beson-
ders auf einer mehrwöchigen Studienreise nach Rom, Neapel und Pompeji (1931) zu
Bewußtsein, auf der er als Sechzigjähriger den Teilnehmern die Antike an Ort und Stelle
so temperamentvoll und nachdrücklich vor Augen führte, daß ich bei meinem nächsten
112 Vgl. beispielsweise die Proteste deutschnationaler bzw. völkischer Studenten gegen den zum Rektor für das
Studienjahr 1922/23 gewählten Historiker Samuel Steinherz, siehe Peter Arlt, Samuel Steinherz (1857–
1942) Historiker. Ein Rektor zwischen den Fronten, in : Prager Professoren (wie Anm. 60) 71−104, hier
73–97, und Gerhard Oberkofler, Samuel Steinherz (1857–1942). Biographische Skizze über einen altös-
terreichischen Juden in Prag (Innsbruck 2008) 73–100.
113 Herbert Cysarz, Zehn Jahre Prag, in : Grenzfall der Wissenschaft : Herbert Cysarz, hg. v. Rudolf Jahn
(Frankfurt/M. 1957) 107.
114 Siehe Peter Becher, Herbert Cysarz (1896–1985) Germanist. Seine Prager Universitätsjahre, in : Prager
Professoren (wie Anm. 60) 277–297, hier 286–297.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien